Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
diesen Tagen Ärger das Einzige zu sein, was jemand mit anderen teilen wollte.
Über einen Befehl von höchster Stelle konnte ich schwerlich diskutieren. Pflichtbewusst begleitete ich Jay Grayer zur Pennsylvania Avenue 1600. Frag nie, was du für dein Land tun sollst, wenn es dich ruft.
Das Weiße Haus lag nur einen Katzensprung vom Willard Hotel entfernt. Trotz der mitunter etwas fragwürdigen Amtsführung seiner Bewohner in den letzten Jahren übt das Weiße Haus auf viele Menschen einen Zauber aus – mich eingeschlossen. Ich war nur zweimal drinnen gewesen: mit meinen Kindern bei Führungen. Aber selbst die waren überwältigend und beeindruckend gewesen. Jetzt wünschte ich mir beinahe, Damon und Jannie könnten bei mir sein.
Schnell waren wir unter dem blauen Baldachin des Wachhauses am West Executive Drive vorbei. Agent Grayer hatte die Erlaubnis, seinen Wagen unter dem Weißen Haus zu parken. Er schien durchaus stolz darauf zu sein. Er erklärte mir, die Tiefgarage würde immer noch als erstklassiger Bunker betrachtet, sei aber auch ein Fluchtweg im Fall eines Angriffs.
»Gut zu wissen«, meinte ich lächelnd. Grayer lächelte zurück. Es war eine gezwungene Kumpelhaftigkeit, aber zumindest gaben wir uns Mühe.
»Ich bin sicher, dass Sie neugierig sind, warum man Sie hergebeten hat. Ich an Ihrer Stelle wäre es jedenfalls.«
»Ich glaube kaum, dass man mich zum Tee einladen wollte«, sagte ich steif. »Aber, ja, ich bin neugierig.«
»Der Grund dafür sind die Fälle Soneji und Casanova«, erklärte mir Grayer, als wir mit dem Aufzug von der Tiefgarage aus einen Stock höher fuhren. »Ihr Ruf, Dr. Cross, eilt Ihnen voraus. Sind Sie sich darüber im Klaren, dass das FBI nicht einen einzigen Serienmörder erwischt hat – trotz aller Experten? Wir möchten Sie bei unserem Team dabeihaben.«
»Was für ein Team ist das?«, fragte ich.
»Das werden Sie in wenigen Augenblicken sehen. Auf jeden Fall ist es ein A-Team. Machen Sie sich auf einige Überraschungen gefasst. Das FBI hat einen Observierungsposten in dem Hotelzimmer eingerichtet, in dem John Hinckley gewohnt hat. Nur für den Fall, dass die Mörder ebenfalls dort absteigen.«
»Gar keine schlechte Idee«, sagte ich. Grayer schaute mich an, als hätte auch ich den Verstand verloren. »Aber auch keine besonders gute Idee«, fügte ich hinzu. Grayer lächelte. Ein halbes Dutzend Männer in Anzügen und Frauen in Kostümen hatten sich im Westflügel des Weißen Hauses versammelt, im Büro des Stabschefs. Ich spürte ungeheure Spannung im Raum, aber jeder bemühte sich krampfhaft, sie zu verbergen. Ich wurde als Repräsentant der Washingtoner Polizei vorgestellt. Willkommen im Team. Sagt hallo zum Drachentöter.
Die Runde am Tisch stellte sich mir freundlich vor. Zwei weitere höhere Beamte des Geheimdienstes, eine Frau namens Ann Roper und ein jüngerer, gut aussehender Mann, der Michael Frescoe hieß. Ferner der Direktor der Geheimdienstabteilung des FBI, Robert Hatfield; General Aiden Cornwall vom Stab der Armee, der nationale Sicherheitsberater Michael Kane und der Stabschef des Weißen Hauses, Don Hamerman. Die andere Frau entpuppte sich als hohe Beamtin bei der CIA. Sie war Generalinspekteurin und hieß Jeanne Sterling. Ihre Anwesenheit bedeutete, dass nicht ausgeschlossen wurde, dass im Fall Jack und Jill eine ausländische Macht die Finger im Spiel haben könnte. Das war eine Möglichkeit, an die ich bis jetzt noch gar nicht gedacht hatte.
Für einen Detective aus dem Washingtoner Southeast war das eine erlesene Gesellschaft, sogar für einen Deputy Chief wie mich. Aber ich hielt mich ebenfalls für sehr erlesen. Ich hatte schlimmere Dinge gesehen, als alle hier Versammelten je gesehen hatten oder sehen wollten.
Dann lasst uns mal anfangen, Herrschaften.
Glänzende Rosinenschnecken, Butter auf Eisstückchen und Kaffee in Silberkannen standen für unseren ungewöhnlichen Frühstücksclub bereit. Es war offensichtlich, dass die anderen schon früher zusammengearbeitet hatten. Ich hatte bereits vor langer Zeit gelernt, dass man wahrscheinlich der Mann für die Dreckarbeit ist, wenn nicht ersichtlich ist, dass es sich um jemand anders handelt.
Eine Minute nach zehn eröffnete der Berater für nationale Sicherheit die Sitzung. Don Hamerman war ein drahtiger blonder Mann Mitte dreißig, der unter enormer Spannung zu stehen schien, womit er eindeutig ins Profil der Stabsmitglieder des Weißen Haus in den letzten Jahren passte: sehr jung und sehr
Weitere Kostenlose Bücher