Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
dass der Mann Eindruck auf mich machte. Er hatte sehr schnell eine gute Saite in meinem Innern angeschlagen. Zugleich aber fragte ich mich, wie viel ich von dem, was er sagte, glauben konnte. Schließlich war er Politiker, und zwar der beste in den USA.
»Jedes Jahr versuchen etliche Menschen ins Weiße Haus einzubrechen, Alex. Einem Mann ist es einmal gelungen, indem er sich ans Ende des Musikkorps der Marine postierte. Andere haben versucht, mit Autos das Eingangstor zu rammen. Neunzehnhundertvierundneunzig ist Frank Eugene Korder mit einer einmotorigen Cessna auf dem Rasen gelandet.«
»Aber das alles war nichts, verglichen mit der jetzigen Bedrohung«, meinte ich.
Der Präsident stellte die Frage, die ihm am meisten auf der Seele lag. »Was ist Ihre Schlussfolgerung über Jack und Jill?«
»Bis jetzt gibt es keine Schlussfolgerung. Höchstens eine vorläufige Meinung«, antwortete ich. »Ich stimme nicht mit dem FBI überein. Ich betrachte Jack und Jill nicht als Mörder mit bestimmtem Muster. Sie gehen äußerst methodisch vor, aber das Muster erscheint mir irgendwie ... künstlich. Ich wette, beide sind attraktiv, weiß und haben einen überdurchschnittlichen IQ. Sie müssen sich gewählt ausdrücken und überzeugend reden können, um an die Orte zu gelangen, an denen sie gewesen sind. Sie wollen etwas weitaus Spektakuläreres erreichen, als sie bis jetzt erreicht haben. Bis jetzt haben sie nur die Fundamente gelegt. Sie genießen die Macht, uns und die Medien zu manipulieren. Mehr weiß ich bis jetzt nicht. Jedenfalls ist das alles, worüber ich sprechen kann.«
Der Präsident nickte mit ernster Miene. »Ich habe bei Ihnen ein gutes Gefühl, Alex«, sagte er. »Ich bin froh, dass wir uns ein paar Minuten unterhalten konnten. Man sagte mir, Sie hätten zwei Kinder.« Er griff in die Jackentasche und reichte mir eine Krawattenspange mit dem Siegel des Präsidenten und eine Anstecknadel, die eigens für Kinder entworfen war. »Souvenirs sind wichtig, finde ich. Wissen Sie, ich bin nicht nur für Veränderung, sondern auch für Tradition.«
Präsident Byrnes schüttelte mir nochmals die Hand, schaute mir einen Moment lang fest in die Augen und verließ dann den Raum.
Mir wurde klar, dass man mich soeben im Team willkommen geheißen hatte und dass der einzige Zweck dieses Teams darin bestand, das Leben des Präsidenten zu schützen. Und ich musste mir eingestehen, dass ich sehr motiviert war, dabei mitzuhelfen. Ich blickte auf die Krawattenspange für Damon und die Nadel für Jannie und war seltsam gerührt.
37.
Hast du das königliche Paar schon getroffen?«, fragte Nana Mama, als ich gegen vier Uhr nachmittags die Küche betrat.
Sie kochte in einem großen grauen Topf irgendetwas, das wie das sprichwörtliche Ambrosia duftete. Es war eins meiner Lieblingsgerichte: Weiße-Bohnen-Suppe. Rosie, die Katze, strich um die Schränke und schnurrte zufrieden. Rosie in der Küche.
Während Nana kochte, löste sie gleichzeitig auf der Arbeitsplatte das Kreuzworträtsel in der Washington Post . Ein Buch mit ihren Wortklaubereien lag ebenso da wie das Buch ein Blick unter jeden Stein – das Leben und die Zeit der Maggie Kuhn . Eine komplizierte Frau, meine Großmutter.
»Wen soll ich getroffen haben?« Ich tat so, als hätte ich ihre kristallklare Frage nicht begriffen. Ich trieb das Spiel, das seit Jahren zwischen uns üblich war und wohl fortdauern wird, bis der Tod uns scheidet – irgendwie, irgendwann, irgendwo.
» Wen , Dr. Cross? Den Präsidenten und Mrs. Präsident natürlich. Das wohlhabende weiße Paar, das im Weißen Haus wohnt und auf uns andere herunterblickt. Tom und Sally im Traumschloss Camelot der neunziger Jahre.«
Ich lächelte über ihre wie üblich temperamentvollen und gelegentlich bitter-süßen Bemerkungen. Dann schaute ich in den Kühlschrank. »Hör mal, ich mache mir aus dem Tafelspitz ein Sandwich, ja? Sieht zart und saftig aus. Oder täuscht der Anblick?«
»Selbstverständlich täuscht er, aber das Rindfleisch ist zart und saftig. Du kannst es mit dem Löffel zerteilen. Sieht aus, als würde man im Weißen Haus nur wenige Stunden am Tag arbeiten. Seltsam, wenn man bedenkt, wie viel man dort zu tun haben müsste. Aber irgendwie habe ich das längst vermutet. Nur konnte ich es bis jetzt nicht beweisen. Also, wen hast du getroffen?«
Ich konnte nicht widerstehen. Außerdem hätte ich es ihr ohnehin erzählt. »Heute Morgen habe ich den Präsidenten getroffen und mit ihm
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