Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
sagte sie immer. Als ich noch ein Kind war, war es nicht anders.
»Das hängt von deinen Absichten ab«, hörte ich sie in der Dunkelheit sagen. »Oh, du bist’s, Alex!« meinte sie lachend und bekam einen kleinen Hustenanfall.
»Wer denn sonst? Kannst du mir das verratea? Mitten in der Nacht vor deiner Schlafzimmertür?«
»Oh, das könnten viele sein. Ein armer Irrer. Ein Einbrecher in unserer gefahrlichen Gegend. Oder einer meiner Verehrer.« So ähnlich laufen unsere Unterhaltungen immer ab. So war es immer, so wird es immer sein.
»Hast du etwa irgendwelche besonderen Freunde, von denen du mir erzählen willst?«
Nana lachte wieder meckernd.
»Nein, sicher nicht, aber ich habe den Verdacht, du hast eine Freundin, von der du mir erzählen willst. Ich ziehe mir was über. Stell doch schon mal Teewasser auf. Im Kühlschrank ist Zitronensahnetorte, jedenfalls war welche da. Übrigens, du weißt doch, daß ich Verehrer habe, Alex?«
»Ich stelle das Wasser auf«, sagte ich. »Aber die Zitronensahnetorte ist schon im Kuchenhimmel.«
Eine Weile verstrich, ehe Nana in der Küche erschien. Sie trug ein reizendes Hauskleid, blaue Streifen mit großen weißen Knöpfen vorn. Sie sah aus, als sei sie bereit, um halb ein Uhr morgens den Tag zu beginnen.
»Ich habe dir nur zwei Wörter zu sagen, Alex. Heirate sie!« Ich verdrehte die Augen.
»Es ist nicht so, wie du denkst, alte Frau. Es ist nicht so einfach.«
Sie goß sich dampfenden Tee ein.
»Oh, es ist absolut einfach, Omasöhnchen. Du hast in der letzten Zeit diesen federnden Schritt und so ein hübsches Leuchten in den Augen. Dich hat’s seit langem erwischt, Mister, du bist bloß der letzte, der’s erfährt. Und jetzt antworte mir ehrlich auf eine Frage, denn das ist eine ernste Angelegenheit.«
Ich seufzte.
»Du bist wohl immer noch ein bißchen high von deinen süßen Träumen. Also los, stell deine blöde Frage.«
»Wenn ich dir, sagen wir mal, neunzig Dollar pro Sitzung berechnen würde, wär’s dann wahrscheinlicher, daß du meine phantastischen Ratschläge befolgtest?«
Wir lachten über ihren Witz, ihren ganz besonderen Sinn für Humor.
»Christine will mich nicht mehr sehen.«
»Ach du meine Güte«, meinte Nana bestürzt.
»Ja, ach du meine Güte. Sie kann sich keine Beziehung mit einem Detective von der Mordkommission vorstellen.« Nana lächelte.
»Je mehr ich über Christine Johnson höre, desto lieber mag ich sie. Intelligente Frau. Hat einen schlauen Kopf auf den hübschen Schultern.«
»Willst du mich jetzt auch mal reden lassen?« fragte ich. Nana runzelte die Stirn und bedachte mich mit einem ernsten Blick. »Du kannst natürlich immer sagen, was du willst, bloß
nicht genau dann, wenn du es sagen willst. Liebst du diese Frau?«
»Ich habe schon etwas Besonderes empfunden, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Das Herz bestimmt den Verstand. Ich weiß, daß das verrückt klingt.«
Sie schüttelte den Kopf und schaffte es trotzdem, gleichzeitig einen Schluck vom heißen Tee zu trinken.
»Alex, so klug du bist, manchmal scheinst du alles durcheinanderzubringen. Das klingt überhaupt nicht verrückt. Es hört sich einfach so an, als ob es dir zum ersten Mal seit Marias Tod besserginge.«
»Wegen meines Berufs hat sie Angst, daß ich sterben könnte. Ihr Mann ist ermordet worden, weißt du noch?«
Nana stand von ihrem Stuhl am Küchentisch auf. Sie kam auf meine Seite geschlurft und stellte sich ganz nah neben mich. Sie war soviel kleiner als früher, und das machte mir Sorgen. Ich konnte mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. »Ich liebe dich, Alex«, sagte sie. »Was du auch tust, ich werde dich immer lieben. Heirate sie! Leb wenigstens mit Christine zusammen.« Sie lachte in sich hinein. »Ich kann’s nicht fassen, daß ich das gesagt habe.«
Nana gab mir einen Kuß und ging dann zurück ins Bett. »Ich habe wirklich Verehrer!« rief sie im Flur aus. »Heirate einen!« rief ich zurück.
»Ich bin nicht verliebt, Zitronentortenvernichter. Aber du!«
22.
Am nächsten Morgen, genau um 6.35 Uhr, nahmen Sampson und ich den Metroliner zur New Yorker Penn Station. Das ging fast so schnell wie fliegen, wenn man bedenkt, wie lange die Fahrt zum Flughafen, das Parken und die Formalitäten mit den Fluggesellschaften dauern, und außerdem wollte ich mir Gedanken über Züge machen.
Die Theorie, Soneji sei der Schlitzer von der Penn Station, war von der New Yorker Polizei bestätigt worden. Ich mußte zwar erst noch mehr
Weitere Kostenlose Bücher