Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
verschränkt. Ein schlechtes Zeichen, die schlimmstmögliche Form der Körpersprache, die Angst und Selbstschutz widerspiegelte. Eins war mehr als deutlich: Christine Johnson wollte mich nicht sehen.
Ich wußte, daß ich nicht hätte herkommen, nicht hätte anhalten sollen, aber ich konnte nicht anders. Ich mußte verstehen, was geschehen war, als wir Kinkead’s verlassen hatten. Nur das, nicht mehr. Ich wollte eine schlichte, ehrliche Erklärung, auch wenn sie weh tat.
Ich holte tief Luft und lief zu ihr hinüber.
»Hi«, sagte ich, »möchten Sie einen Spaziergang machen?
Es ist ein schöner Abend.«
Ich konnte kaum sprechen, dabei bin ich sonst um Worte nie verlegen.
»Legen Sie etwa in Ihrem vierundzwanzigstündigen Arbeitstag eine Pause ein?« Christine lächelte halb, versuchte es jedenfalls.
Ich erwiderte das Lächeln, obwohl mir übel war. Ich schüttelte den Kopf.
»Ich bin fertig mit der Arbeit.«
»Aha. Sicher können wir ein paar Minuten ein Stückchen gehen. Es ist ein schöner Abend, Sie haben recht.«
Wir gingen die Fifth Street entlang und betraten den Garfield Park, wo es im Frühsommer besonders schön ist. Wir gingen schweigend und blieben schließlich neben einem Sportplatz stehen, auf dem es von kleinen Kindern wimmelte. Ein wildes Baseballspiel war im Gang. Wir waren nicht weit vom Eisenhower Freeway entfernt, und das Dröhnen des Rush-hourVerkehrs war stetig, fast beruhigend. Tulpenbäume und Korallensträucher standen in voller Blüte. Mütter und Väter spielten mit ihren Kindern, und alle schienen gut gelaunt.
Seit fast dreißig Jahren lebte ich in der Nähe dieses Parks, und bei Tageslicht ist er geradezu idyllisch. Maria und ich waren oft hierhergekommen, als Damon noch ein Kleinkind und sie mit Jannie schwanger war. Viele Erinnerungen aus dieser Zeit fangen langsam an zu verblassen, was vermutlich gut, aber eben auch sehr traurig ist.
Endlich sagte Christine etwas.
»Es tut mir leid, Alex.« Sie hatte zu Boden geschaut, aber jetzt hob sie ihre schönen Augen und sah mich an. »Wegen gestern abend. Die dumme Szene an meinem Auto. Ich muß
wohl in Panik geraten sein; ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal genau, was passiert ist.«
»Lassen Sie uns ehrlich sein«, sagte ich. »Warum geht es nicht?«
Ich merkte, daß es ihr schwerfiel, aber ich mußte wissen, was sie empfand. Ich mußte mehr erfahren als das, was sie mir vor dem Restaurant gesagt hatte.
»Ich will versuchen, es zu erklären«, sagte sie. Ihre Hände waren verkrampft. Mit einem Fuß tippte sie nervös auf den Boden. Jede Menge schlechter Zeichen.
»Vielleicht ist das alles meine Schuld«, sagte ich. »Ich habe Sie immer wieder zum Abendessen eingeladen, bis …« Christine streckte die Hände aus und legte sie auf meine.
»Bitte, lassen Sie mich ausreden«, sagte sie. Das halbe Lächeln kam zurück. »Lassen Sie mich versuchen, es ein für allemal klarzustellen. Ich wollte Sie sowieso anrufen. Ich hatte vor, Sie heute abend anzurufen, wirklich. Sie sind nervös, und ich bin es auch. Ich bin sehr nervös«, sagte sie ruhig. »Ich weiß, daß
ich Ihre Gefühle verletzt habe, und das gefällt mir nicht. Das wollte ich auf keinen Fall. Sie haben es nicht verdient, verletzt zu werden.«
Christine zitterte leicht. Auch ihre Stimme bebte. »Alex, mein Mann ist wegen der Form von Gewalt gestorben, mit der Sie jeden Tag leben müssen. Sie nehmen diese Welt hin, aber ich glaube nicht, daß ich es kann. Ich bin einfach nicht solch ein Mensch. Ich könnte es nicht ertragen, noch jemanden zu verlieren, der mir nahesteht. Ergibt das für Sie einen Sinn? Das alles ist sehr verwirrend für mich.« Langsam wurde mir alles klarer. Christines Mann war im Dezember ermordet worden. Sie sagte, es habe große Probleme in ihrer Ehe gegeben, aber sie habe ihn geliebt. Sie hatte mit angesehen, wie er in ihrem Haus erschossen wurde, hatte ihn sterben sehen. Damals hatte ich sie in den Armen gehalten. Ich war ein Teil des Mordfalls.
Auch jetzt wollte ich sie in die Arme nehmen, aber ich wußte, daß es falsch gewesen wäre. Sie schlang die Arme wieder fest um sich, und ich verstand nun ihre Gefühle.
»Bitte, hören Sie mir zu, Christine. Ich werde vermutlich erst mit Ende Achtzig sterben. Ich bin zum Sterben zu stur und zu dickköpfig. Damit hätten wir gemeinsam noch eine längere Zeit vor uns, als wir beide bis jetzt gelebt haben. Über vierzig Jahre. Das ist außerdem eine zu lange Zeit, um einander aus dem Weg zu
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