Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
Geräusch eines Streichholzkopfes, gefolgt von einem langen, ausgedehnten Zischen.
Ich suchte unauffällig nach Thomas, achtete aber darauf, meine Rolle zu spielen: irgendein kaputter Junkie, der auf der Suche nach einem Fleck zum Rauchen war, zum friedlichen Einnicken, der auf keinen Fall gekommen war, um jemanden zu belästigen. Plötzlich bemerkte ich Shareef Thomas auf einer der Matratzen, ziemlich weit hinten in dem finsteren, schmuddeligen Raum. Ich erkannte ihn aufgrund von Fotos, die ich in Lorton saldiert hatte. Ich zwang mich, nicht zu ihm hinzuschauen.
Mein Herz fing wie verrückt zu pochen an. Konnte Soneji auch hiersein? Manchmal kam er mir vor wie ein Phantom oder ein Gespenst. Ich fragte mich, ob es einen Hinterausgang gab. Aber zunächst mußte ich einen Platz zum Sitzen finden, bevor Thomas mißtrauisch wurde. Ich schaffte es bis zu einer Wand und rutschte zu Boden. Ich beobachtete Shareef Thomas aus dem Augenwinkel. Dann brachen in dem Crackschuppen völlig unerwartet Wahnsinn und Chaos los.
Die Vordertür wurde aufgerissen, und Groza und zwei Uniformierte stürzten herein. Soviel zum Thema Vertrauen.
»Arschloch«, stöhnte ein Mann neben mir, der aufgewacht war.
»Polizei! Keine Bewegung!« schrie Carmine Groza. »Keiner rührt sich! Bleibt alle ruhig!«
Mein Blick blieb auf Shareef Thomas gerichtet. Er stand von der Matratze auf, wo er noch vor Sekunden zufrieden wie eine Katze gekauert hatte. Vielleicht war er gar nicht zugedröhnt, vielleicht versteckte er sich.
Ich packte die Glock, die ich unter meinem zusammengerollten Hemd im Kreuz stecken hatte, und hielt sie vor meinen Körper. Ich hoffte wider alle Vernunft, daß ich in dieser Enge nicht schießen mußte.
Thomas zog ein Gewehr hervor, das er neben der Matratze versteckt haben mußte. Die anderen Junkies wirkten unfähig, sich zu bewegen und aus dem Weg zu gehen. Alle rotgeränderten Augen im Raum waren vor Angst weit aufgerissen.
Thomas’ Straßenfeger explodierte. Groza und die Uniformierten gingen alle drei zu Boden. Ich konnte nicht beurteilen, ob einer von ihnen getroffen worden war.
»Schluß mit dem Scheißdreck!« schrie der Latino an der Tür.
Er hatte sich auch zu Boden geworfen und schrie, ohne den Kopf in die Schußlinie zu heben.
»Thomas!« brüllte ich, so laut ich konnte.
Shareef bewegte sich mit überraschender Behendigkeit. Schnelle, sichere Reflexe, auch unter dem Einfluß von Crack. Er zielte mit dem Gewehr auf mich. Seine dunklen Augen funkelten. Mit dem Anblick eines Gewehrs, das auf einen gerichtet ist, läßt sich nichts vergleichen. Ich hatte jetzt keine andere Wahl mehr und zog den Abzug der Glock durch. Shareef Thomas wurde wie von einem Blitz in der rechten Schulter getroffen. Er wirbelte heftig nach links herum, aber er ging nicht zu Boden, sondern drehte sich geschmeidig im Kreis. Das hier war nichts Neues für ihn. Für mich auch nicht. Ich mußte ein zweites Mal schießen und traf ihn in Kehle oder Unterkiefer. Thomas wurde nach hinten geschleudert und krachte gegen die pappdeckeldünne Wand. Das ganze Gebäude bebte. Seine Augäpfel verdrehten sich nach hinten, und sein Mund klaffte weit auf. Er war tot, bevor er auf dem Boden des Crackschuppens aufschlug.
Ich hatte unser einziges Bindeglied zu Gary Soneji erschossen.
46.
Ich hörte, wie Carmine Groza in sein Funkgerät brüllte. Die Worte brachten mich zum Frösteln.
»Officer in der Macon Street viereinszwei angeschossen! Officer angeschossen!«
Ich hatte noch nie den Tod eines Officers miterlebt. Als ich jedoch den vorderen Teil des Crackschuppens erreichte, war ich mir sicher, daß einer der Uniformierten sterben würde. Warum war Groza auf diese Weise hier eingedrungen? Warum hatte er die Streifenpolizisten mitgebracht? Doch das alles spielte jetzt keine große Rolle mehr.
Der Uniformierte lag auf dem Rücken auf dem müllübersäten Boden neben der Vordertür. Seine Augen wurden schon glasig, und ich nahm an, daß er unter Schock stand. Aus seinem Mundwinkel sickerte Blut.
Das Gewehr hatte hier sein grausiges Werk getan, so, wie es mich erledigt hätte. Blut hatte die Wände und den verkratzten Holzboden bespritzt. Ein Muster aus versengten Einschußlöchern war in die Wand über dem Körper des Streifenpolizisten eintätowiert. Keiner von uns konnte mehr etwas für ihn tun.
Ich stand neben Groza und hielt immer noch die Glock in der Hand. Ich biß mir wieder und wieder auf die Lippen. Ich versuchte, nicht wütend auf Groza zu
Weitere Kostenlose Bücher