Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
ihrer Wohnung auflauerte. Sie waren wie Jagdhunde auf einer frischen Fährte: hartnäckig und oft unglaublich unsensibel und unhöflich.
Ein schwarzer Agent, den sie kannte, ein kluger, netter Mann namens Charles Dampier, stieg aus und hielt ihr die Hintertür auf.
»Guten Abend, Mrs. Johnson«, sagte er so höflich wie einer ihrer Schüler. Sie hatte das Gefühl, er sei ein bißchen in sie verknallt. Sie war daran gewöhnt, daß sich Männer so benahmen, und versuchte, freundlich zu sein.
»Danke.« Sie ließ sich auf den mit grauem Leder bezogenen Rücksitz sinken.
»Guten Abend zusammen«, sagte sie dann zu Charles und dem Fahrer, einem Mann namens Joseph Denjeau.
Auf der Fahrt sprach niemand etwas. Die Männer waren offensichtlich angewiesen worden, sie in Ruhe zu lassen, falls Christine nicht selbst das Gespräch eröffnete. Sie leben in einer seltsamen, kalten Welt, dachte Christine. Und jetzt muß ich wohl auch dort leben. Ich fürchte, das gefällt mir überhaupt nicht.
Bevor die Agenten gekommen waren, um sie abzuholen, hatte sie noch ein Bad genommen, hatte mit dem Rotwein in der Wanne gesessen und ihr Leben Revue passieren lassen. Sie kannte ihre Stärken und Schwächen gut. Ihr war bewußt, daß sie früher immer ein bißchen Angst davor gehabt hatte, ins Tiefe zu springen, aber es hatte sie immer danach gedrängt, und sie war sehr nahe daran gewesen. Sie besaß eindeutig eine wilde Ader, eine Wildheit im positiven Sinne. Sie hatte George in den ersten Jahren ihrer Ehe sogar für ein halbes Jahr allein gelassen, war nach San Francisco geflogen und hatte an der Berkeley University Fotografie studiert, in einer winzigen Wohnung in den Hügeln gewohnt. Sie hatte die Einsamkeit eine Zeitlang genossen, die Möglichkeit nachzudenken, die unkomplizierte tägliche Arbeit, mit ihrer Kamera die Schönheit des Lebens einzufangen.
Irgendwann war sie zu George zurückgekehrt, hatte wieder unterrichtet und schließlich die Stelle an der Sojourner-TruthSchule angetreten. Wahrscheinlich liebte sie ihren Beruf deshalb so sehr, weil sie von Kindern umgeben war. Sie liebte Kinder und konnte zudem gut mit ihnen umgehen, und sie wünschte sich sehnlichst eigene Kinder.
Heute nacht ließ sie ihre Gedanken schweifen, was vermutlich an der späten Stunde und dem zweiten Glas Merlot lag. Es war fast Mitternacht, als die dunkle Ford-Limousine über die verlassenen Straßen fuhr, die gewohnte Strecke, fast der übliche Weg von Mitchellville nach D.C. Sie fragte sich, ob es klug sei, so zu fahren, nahm aber an, die Männer wüßten, was sie taten.
Gelegentlich schaute Christine sich um, um zu überprüfen, ob sie verfolgt wurden. Sie kam sich dabei etwas töricht vor, konnte jedoch nicht anders. Sie war Teil eines Falles, der für die Presse äußerst brisant war. Die Medienleute nahmen absolut keine Rücksicht auf ihre Privatsphäre oder ihre Gefühle.
Einige Reporter waren sogar in der Schule aufgetaucht und hatten versucht, andere Lehrer auszufragen. Sie hatten so häufig bei ihr zu Hause angerufen, daß sie sich schließlich eine Geheimnummer hatte geben lassen.
Ganz in der Nähe war das Geheul von Polizei- oder Rettungswagensirenen zu hören, und das aufdringliche Geräusch riß sie aus ihren Gedanken. Sie seufzte, sie waren fast da. Christine schloß die Augen und atmete tief und langsam, senkte den Kopf auf die Brust. Sie war müde und hatte das Bedürfnis, sich auszuweinen.
»Alles in Ordnung, Mrs. Johnson?« wollte Agent Dampier wissen. Er schien Augen am Hinterkopf zu haben. Er hat mich beobachtet, dachte Christine. Er beobachtet alles, was geschieht, und vermutlich ist das gut so.
»Mir geht’s bestens.« Sie machte die Augen auf und zeigte ein schwaches Lächeln. »Ich bin bloß ein bißchen müde, zu oft früh aufgestanden und zu spät ins Bett gegangen.«
Agent Dampier zögerte, dann sagte er: »Tut mir leid, daß es nicht anders geht.«
»Danke«, sagte sie leise. »Sie haben es mir durch Ihre Freundlichkeit sehr viel angenehmer gemacht. Und Sie sind ein toller Chauffeur«, neckte sie Agent Denjeau, der meistens still war, jetzt aber lächelte.
Die FBI-Limousine schoß eine steile Betonrampe hinunter und fuhr von der Rückseite in das Gebäude hinein. Es handelte sich um den Lieferanteneingang, wie Christine inzwischen wußte. Wieder einmal schlang sie die Arme um sich. Diese ganze Nachtfahrt kam ihr so unwirklich vor.
Beide Agenten begleiteten sie nach oben bis zur Tür, dann traten sie zurück, und
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