Patty Janes Frisörsalon
rosemaling , die groÃe Präzision erforderte; Harriet mit der Lektüre einer Partitur oder dem Ausprobieren von Frisuren, um die ideale für ihren Hochzeitstag zu finden.
Eines Nachmittags, nach einem von Harriets Harfenkonzerten, war Nora in den Armen ihrer Mutter eingeschlafen, während Patty Jane sich einer sanften Schläfrigkeit hingab, in der die Realität ein Traum und jeder Traum gut war. Die Fenster waren hochgeschoben, und ein frisches Lüftchen zupfte am Saum der dünnen Gardinen wie die Hand eines frechen kleinen Bengels. Im Radio spielte Duke Ellington.
»Ione«, sagte Harriet, und Patty hörte, wie sie ein Streichholz anriÃ, »wie alt bist du noch mal?«
»Einundfünfzig.«
»Macht dir das Angst?«
» Uff-da, nei. Warum fragst du?«
Patty Jane öffnete die Augen, um einen Blick auf Harriet zu werfen, die mit hochgezogenen Beinen auf dem Sofa saà und in die Rauchfäden starrte, die von ihrer Zigarette aufstiegen.
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daà ich mal alt werde«, sagte Harriet.
Ione saà über den Couchtisch gebeugt. Sie zeichnete mit staubloser Kreide ein Blumenmuster auf eine Holzplatte, um es dann, wie schon ihre Mutter und ihre GroÃmutter es getan hatten, mit Ãlfarbe auszumalen.
»So denkt man eben, wenn man jung ist.« Sie hielt die Platte hoch und bewunderte ihre Arbeit. »Aber wenn man dann nicht mehr so jung ist, stellt man fest, daà es gar nicht so schlimm ist, alt zu werden ... sogar besser.«
»Nie!«
»Du wirst noch an meine Worte denken.« Ione drückte einen Klacks rotbrauner Ãlfarbe auf ihre Palette. »Also, weiÃt du, ich denke so: Wir haben, glaube ich, alle die Seele einer Achtjährigen. Zeit und Erfahrung und die Mutterschaft â besonders die Mutterschaft, weil man da für einen anderen Menschen verantwortlich ist! â machen einen klüger und weiser, aber tief im Innern sitzt immer noch die Seele einer Achtjährigen.« Ione suchte sich einen feinen Pinsel heraus und drückte ihn in die Farbe. »Ich bin einundfünfzig, aber die Zahl hat überhaupt keine Bedeutung.«
Harriet hielt ihre Zigarette eine Handbreit vor ihren Mund und starrte nachdenklich zu einem Punkt an der Decke hinauf.
»Avel ist fünfunddreiÃig«, sagte sie, »und er ist überhaupt nicht so, wie ich das von einem FünfunddreiÃigjährigen erwarten würde. Ich glaube sogar, daà ich in meinem Verhalten älter bin als er.«
»Genau das sage ich ja«, erwiderte Ione. »Eine Zahl allein reicht nicht, um das Alter eines Menschen zu messen.«
Da hast du verdammt recht, dachte Patty Jane. Ich bin gerade zweiundzwanzig geworden, jeder hält mich für sechzehn, und ich fühle mich ungefähr wie hundertvier.
Die Ãnderungen an Harriets Hochzeitskleid waren abgeschlossen, und Ione begleitete Harriet zu Wandas Brautausstattung, um das Kleid abzuholen.
»Hallo, Mrs. Ames in spe«, sagte Wanda, prächtig ausstaffiert mit einem goldschimmernden Kaftan und passendem Turban. »Oh, und das ist Ihre Mutter?«
»Nein«, antwortete Harriet lächelnd. Sie machte die beiden Frauen miteinander bekannt, aber als sie ihr Kleid an der Stange hinter der Kasse hängen sah, stockte ihr plötzlich der Atem. So scheu, als näherte sie sich einem Patenkind, das sie nie kennengelernt hatte, ging sie hin. Sie schob es behutsam vom Bügel und trug es in die Garderobe, und als sie wieder herauskam, schlug Ione die Hände zusammen.
»Oh, ihr Sterne«, rief sie. »Oh, ihr himmlischen Sterne!«
»Ja, meine Damen, wir haben die Taille perfekt zusammengenommen«, erklärte Wanda. Sie stellte sich hinter Harriet, und gemeinsam blickten sie in den hohen Ankleidespiegel. »Sehen Sie, wie es sich bauscht? Sie bekommen richtige Hüften dadurch.«
Nachdem Harriet sich umgezogen hatte, zog Wanda einen Kleidersack über das Hochzeitskleid. »Ich wünsche Ihnen eine wunderschöne Hochzeit«, sagte sie zu Harriet. Rubinrote Lippenstiftflecke leuchteten auf ihren Schneidezähnen, als sie lächelte und dann zu Ione sagte: »Raten Sie mal, wie alt ich bin.«
Kichernd erzählte Ione Harriet später im Wagen, sie wüÃte nicht, was plötzlich über sie gekommen sei, aber sie habe gesagt, oh, keine Ahnung ... fünfundachtzig?
An der Wand in Patty Janes Küche hing ein groÃer Kalender
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