Patty Janes Frisörsalon
natürlich habe ich geweint, und der alte Indianer hat genickt, als verstünde er.
Es ist, als sei mein Leben ein groÃes Orchester, das die ganze Zeit nur auf den Einsatz gewartet hat, und nun ist endlich der Dirigent gekommen, um es in den ersten Satz hineinzuführen. Und ich spüre, daà es eine herrliche Mozart-Symphonie ist.
Adios bis zur nächsten Sekunde, in der ich an Dich denke,
Avel.
Harriet hob seine Briefe in einem leeren Mighty-Bites-Karton unter der Couch auf und träumte von Gardenienbüschen, menschenbevölkerten Märkten und flatternden Ponchos, die aus leuchtender Wolle gewebt waren.
Alle Geschäfte waren erledigt, so zufriedenstellend, wie Avel es nie erwartet hätte. Sein Aktenköfferchen war prall gefüllt mit Angeboten und Absichtserklärungen, Fakten und Zahlen, auf die seine Schwestern sich mit der Begierde von Buchhaltern stürzen würden. Als er an Bord der Maschine ging, die ihn nach Hause bringen sollte, stellte er sich seinen Vortrag vor jener Gruppe von Geschäftsleuten vor, für die er immer eher ein Hofnarr als ein Kollege gewesen war.
Bogota verschwand unter ihm. Er summte ein Lied von einer Goldgrube, das er bei einer Gruppe StraÃenmusikanten gehört hatte, und als die Maschine ihre Reisehöhe erreichte, wurde die Trauer über den Abschied von einem Ort, wo so viel geschehen war, von der Vorfreude auf seinen Hochzeitstag verdrängt. Mit einem Nicken zu dem Geschäftsmann, der auf der anderen Seite des Ganges saÃ, klappte Avel geschäftig sein Aktenköfferchen auf, nahm einen Block heraus und tat etwas, was er noch nie zuvor getan hatte: er machte sich eine Notiz. In groÃen Blockbuchstaben schrieb er quer über den Kopf des Blattes:
ZU ERLEDIGEN
Harriet heiraten!!!
Flitterwochen!!!
Kontaktieren der Familienanwälte, besonders Mr. Sumner, wegen Immobilien- und Wertpapiervermögen, bestehenden Testaments und Ãnderung zugunsten Harriets, Haus am Minnetonka-See â für den Sommer frei?
Patty Jane â Angebot Ausbildung oder Arbeit? â Vielleicht bei der Firma?
Avel füllte die Seite, und als er fertig war, lieà er sich von der Stewardeà ein Kissen geben. Den Rosenkranz, den Señora Rosa ihm geschenkt hatte, lose in der Hand, nickte er ein.
Der Briefträger kam am Zeitungsjungen vorüber, als der Zwölfjährige gerade drauÃen vor dem Haus die Nachmittagsausgabe des Minneapolis Star zusammenfaltete.
»Herrlicher Tag«, sagte der Briefträger mit einem Nicken.
»Wenigstens hatâs aufgehört zu regnen«, erwiderte der Zeitungsjunge, ein kleiner Träumer, der auf ein Funkgerät sparte.
Für beide war es ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag.
Harriet stand in einem marineblauen Hahnentrittkostüm vor dem Spiegel im Badezimmer und zupfte an ihrem Haar herum. Sie wollte zum Flughafen, um Avel abzuholen, und in ihrem Magen flatterte eine ganze Schar Schmetterlinge. Sie hatte weder beim Frühstück noch beim Mittagessen, das Ione zubereitet hatte, etwas essen können. Koffein und Nikotin waren das einzige, was sie zu sich genommen hatte. Heute abend um sieben würden sie und Avel am Calhoun-See getraut werden, dort, wo sie sich vor fast einem Jahr bei einem chinesischen Abendessen aus der Tüte zum erstenmal nahegekommen waren.
Sie rià ihr Haar aus dem fest geschlungenen Knoten, und es flog knisternd nach allen Seiten. Sie war gerade dabei, es sich auf einer Seite über das Auge zu bürsten, als ein Schrei aus dem Wohnzimmer ertönte. Sie schmià die Bürste hin und stürzte aus dem Bad. Patty Jane lehnte mit kreidebleichem Gesicht zusammengesunken an der Wohnungstür. In der Hand hielt sie ein Blatt liniertes Papier wie aus einem Schulheft.
»Patty Jane?« Harriets Stimme enthielt einen Hauch von Angst.
Patty Jane hob die Hand, und zitternd nahm ihr Harriet das Blatt Papier aus den Fingern. Sie las den kurzen, mit Maschine geschriebenen Text einmal durch, und dann noch einmal, um ihn zu begreifen.
Liebe Patty Jane,
ich bin am Leben. Verzeih mir und vergià mich. Tut mir leid.
GruÃ,
Thor.
Die Schwestern blickten einander an, ihre Gesichter starr vor Schreck. In der Stille des Zimmers schwangen tausend Worte.
»Er lebt«, sagte Harriet schlieÃlich.
»Ich bring ihn um«, flüsterte Patty Jane.
Ione, die mit Nora vom Einkaufen zurückkam, hob das gefaltete Rechteck des Minneapolis Star von
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