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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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getorften Beet, an deren Stümpfen sich zarte rote Triebe zeigten. »Peter und Ulla Abel« stand auf einem handgetöpferten Schild neben der Haustür. Sie schloß auf und ließ ihn vorangehen, durch den Flur in die Küche.
    Dort war es warm und feucht, auf dem Herd kochte etwas in einem großen Topf, und auf einem der Stühle lag der schwarzweißrote Kater, dem er gestern begegnet war, und gähnte ihn an.
    Ulla Abel stellte zwei Kaffeetassen und eine Thermoskanne auf den Tisch. »Ich bin gleich wieder da.«
    Bremer kraulte den Kater am Bauch und sah sich um. Bilder an der Wand von einem kleinen Mädchen mit Zöpfen und einem Jungen im Konfirmandenanzug. Die Kinder. Oder schon die Enkel? Bei den Landfrauen wußte man nie. Ein Kalender von der Sparkasse, Motiv: Frühling in einer idyllischen Flußaue, Farbfoto. Und das Blatt mit den Terminen für die Müllabfuhr – Restmüll, Papier, Grüner Punkt. Hausmüll alle zwei Wochen, alles andere alle vier Wochen, da gab es kein Pardon. Und wenn die Tonne überquoll.
    Müll war ein großes Thema. Zeig mir deinen Müll, und ich sag dir, wer du bist. Bremers kleiner Haushalt erzeugte wenig Restmüll, dafür um so mehr Stoff für die Papiertonne: Zeitungen, Weinkartons und Büchertaschen. Ulla Abel sah aus wie jemand, der seinen Komposthaufen pflegte und keine Zeitung las. Das half natürlich wirtschaften.
    »Sie hätten sich ruhig einschenken können.« Da war sie wieder, goß Kaffee ein und legte ein Fotoalbum auf den Tisch. Bremer führte die Tasse an den Mund und setzte sie wieder ab. Der Kaffee roch abgestanden. Seine Gastgeberin blieb hinter ihm stehen, öffnete das Fotoalbum und tippte auf ein Bild, das einmal ein Farbfoto gewesen sein mußte, aber mittlerweile aussah wie handkoloriert. »So sah das damals aus da drüben.«
    Ganz anders als heute. Der Vorgarten war licht und luftig, man erkannte ein paar noch junge Bäume und Sträucher und etwas, das wie ein kleiner Weihnachtsbaum aussah. Ohne die alles überragenden Bäume wirkte das Haus freundlich und einladend, wie aus einem Katalog, der für Wanderurlaub in ländlicher Idylle warb.
    Ulla Abel beugte sich vor und blätterte weiter. Sie roch nach Topfkuchen und Haarspray. Der Pferdeschwanz saß wieder sicher und straff, alle Haarsträhnen, die sich befreit hatten, waren an ihrem Platz.
    »Und das sind die Leute, die damals in dem Haus wohnten.« Sie richtete sich auf und sah ihm zu, wie er das etwas unscharfe Bild betrachtete. »Mein Mann hat das alles gesammelt. Einiges hat er wohl drüben gefunden, als das Haus noch leer stand. Es gehört zur Geschichte der Siedlung und damit auch unseres Hauses, meint er. Ich weiß ja nicht.«
    Zwei Frauen saßen auf den Stufen vor der Haustür und lächelten in die Kamera. Beide trugen lange wallende Gewänder, die eine in einem bläulich schimmernden Rot, die andere in einem nicht weniger aufdringlichen Gelbgrün. Beide schauten entrückt in den Himmel, die Köpfe zurückgelehnt, die Arme ausgebreitet. Die Frauen sahen aus wie die Hippies und Blumenkinder der späten 60er. Die »Alles ist in Afri-Cola«-Generation. Die eine ließ die langen blonden Haare wehen. Die andere hatte sich ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen. Beide waren mit Schmuck behängt wie marokkanische Straßenhändler. Beide waren jung und schön. Und sie wirkten unschuldig und auftrumpfend zugleich.
    »Wann war das?«
    »28 Jahre bevor wir hier eingezogen sind. Und das war 1996.«
    Also 1968. Bremer blickte auf, in die Augen von Ulla Abel, die nicht zu wissen schien, was sie von alledem halten sollte. Kein Wunder. Die beiden Frauen auf dem Foto paßten nicht in diese karge Gegend, in der die Älteren noch heute nicht viel redeten und Unauffälligkeit als Charakterstärke galt.
    »Und wer waren die beiden?«
    »Drei. Zwei Frauen, ein Mann. Eine Kommune.« Ulla Abel sprach das Wort vorsichtig aus, als ob sie nicht sicher sei, was das hieß. Oder verhieß. »Alle drei nicht von hier. Und niemand wußte, was die hier zu suchen hatten.«
    Ulla Abel mußte 1968 noch ein Kind gewesen sein. Aber sie hatte den Erwachsenen genau zugehört.
    »Und was hat man sich über die drei erzählt?« Nichts Gutes, wenn er die hiesigen Sturköpfe richtig einschätzte.
    »Man muß das sicher verstehen – das waren andere Zeiten damals. Und man kannte hier so etwas nicht.«
    »Sie sind hier aufgewachsen, Frau Abel?«
    »Ulla.« Sie lächelte. »Nicht in der Siedlung. Unten, in Groß-Roda. Und meine Mutter war entsetzt, als mein

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