Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
drehen.« Vogelsang, väterlich-freundlich.
»Versprochen?« Sie lächelte ihn an.
DeLange versuchte zurückzulächeln, ohne sie zu erschrecken.
Bei Hedi Baumeister blieben Vogelsang und Sophie Winter stehen. DeLange hörte nicht hin. Hannah hatte sich bei ihm untergehakt.
»Pause«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Setzt du dich zu mir?«
Aus den Augenwinkeln sah er Nikolaus Maurer auf die Winter zusteuern. Das also verschaffte ihm die Ehre ihrer Gesellschaft: Hannahs Journalist war beschäftigt. Aber DeLange war nicht kleinlich. Er nahm, was er kriegen konnte.
Hannah hatte die Hände um den Becher mit Kaffee gelegt, als ob sie friere, und pustete hinein. Sie sah ihn über den Becherrand hinweg an. Grüne Augen mit goldenen Punkten. Ihm wurde schon wieder ganz anders.
»Bist du eigentlich verheiratet? Hast du eine Freundin?«
Ja. Und nein. Aber wie beschreibt man das Verhältnis zu Feli?
»Kinder?«
Darüber konnte man reden. Als sie zu lachen begann, merkte er, daß er darüber wie ein Wasserfall reden konnte. Flo, die Erstgeborene. Überfliegerin in der Schule. Und Caroline. Sechs Wochen zu früh geboren. Er hatte sie nächtelang durch die Wohnung getragen, wenn sie vor Müdigkeit weinte. Flo und Caro. Sein Glück. Sein Elend, das er immer dann spürte, wenn etwas passierte. Den vermißten Jungen hatte man noch immer nicht gefunden.
Er sah auf, hinüber zum großen Tisch am Fenster, an dem Sophie Winter mit Vogelsang und dem Journalisten saß, umtänzelt von Blumenkron, der ein Foto nach dem anderen schoß.
»Und? Wie findest du sie, unsere Autorin?«
Sympathisch. Freundlich. Irritierend.
Sie wirkt, als ob sie vor etwas Angst hat, dachte er.
6
»Frau Winter? Ich bin Nikolaus Maurer.«
Der Mann mit der gepflegten Glatze legte eine Hand unter ihren Ellbogen und steuerte sie an einen Tisch am Fenster. Als ob er ein Recht darauf hatte.
»Ich habe mich sehr auf unser Gespräch gefreut.«
Sie lächelte unverbindlich. Einen Moment lang wußte sie nicht, was der Mann von ihr wollte.
»Ich habe so viele Fragen an Sie.« Er setzte sich ihr gegenüber. »Wissen Sie …«
Sie zuckte zurück. Maurer hielt den Bleistift zwischen Daumen und Zeigefinger, als wollte er damit zustechen.
»Wissen Sie – mich beschäftigt das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit. Wieviel Raum nimmt das persönlich Erlebte ein in Ihrem hinreißenden Roman? Und was ist erfunden? Oder – wird gar die eigene Geschichte erst wirklich im Moment des Aufschreibens? Dann also, wenn sie Literatur wird?«
Seine Augen. Der Mann hatte seltsame Augen.
»Und dann, als dritte Ebene gleichsam, die Verfilmung. Also ich wüßte gern mehr über das mehrfach Gebrochene im Verhältnis zum realgeschichtlichen Gehalt Ihres Buchs.«
Der Mann schien zu glauben, daß man seine Fragen verstehen könne. »Er geht den Dingen auf den Grund«, hatte Regine gesagt. »Er ist vielleicht ein bißchen kompliziert, aber er gilt als der beste Reporter der Profile. Er hat Niveau.«
»Verstehen Sie?«
Nein. Sophie schüttelte benommen den Kopf. Sie konnte sich kaum konzentrieren. Um sie herum eine Ausgelassenheit wie auf einer Klassenfahrt. Ihr Blick suchte den Regisseur, aber der unterhielt sich mit der Blonden, die die Sascha spielte. Wie waren sie bloß auf diese Frau gekommen? Der Polizist, der Berater – sie hatte gar nicht gewußt, daß es so etwas gab – sprach mit der Darstellerin der Angel, die gefiel ihr weit besser.
»Man glaubt, Sie seien dabeigewesen. Sie erzählen so lebendig, Frau Winter.«
Lebendig. Natürlich. Es lebte ja. Es lebte und es leuchtete. Wie war noch einmal die Frage?
Maurer beugte sich vor und sah sie an, aus blauen Augen, sie hatte lange nicht mehr so ein Blau gesehen, vor allem nicht bei Männern. Dabei spiegelte sich das Deckenlicht auf seiner Glatze. Sie hätte fast gelacht.
»Und was ist das für ein Gefühl, wenn sich andere Ihres Textes bemächtigen? Zum Beispiel die Szene, die wir eben gesehen haben …«
Sie tanzt, selbstvergessen. Und wie sie tanzt. Die langen blonden Haare schwingen vor ihrem Gesicht, das dünne Kleid fließt um ihre Glieder. Alles ist Duft und Sound und Liebe. Um den Hals trägt sie eine Kette, Silber mit stumpfen roten Steinen, und zwischen den Brüsten einen kleinen roten Lederbeutel, weich von ihrer Wärme und ihrem Schweiß.
»Nun, die wenigsten Autoren sind mit der Verfilmung ihres Werks zufrieden. Das ist ja bekannt. Sie hängen an ihren eigenen Bildern, ja sie fühlen sich ihnen
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