Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
bei Felis Wohnung vorbeizufahren, um diese verdammte Karte zu suchen. Aber er hatte keinen Schlüssel. Und wenn der Kerl da wäre … Warum hatte sie ihm eigentlich nicht erzählt, daß sie einen Neuen hatte?
Wenn der Kerl da wäre … gäbe es eine Schlägerei. DeLange ballte die Fäuste. Er stieg ins Auto und fuhr ins Büro. Die Mädchen würden bald nach Hause kommen. Und seine Arbeit war das einzige, was den Moment der Wahrheit hinauszögern könnte.
Er saß am Schreibtisch und beantwortete E-Mails, als das Telefon klingelte – sein Diensttelefon. Dort riefen die Mädchen normalerweise nicht an, aber er griff dennoch hastig nach dem Hörer.
»DeLange.«
»Karen Stark.« Eine dunkle Stimme, die amüsiert klang. »Ich habe Ihnen Ihre Akte organisiert, erinnern Sie sich?«
Er mußte irgend etwas gekrächzt haben, das seinem tiefen Erstaunen über die Schnelligkeit ihrer Aktion Ausdruck gab, jedenfalls lachte sie.
»Wenn man das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden kann … Meine Freundin und Kollegin aus Fulda hat mir den Krempel mitgebracht, als wir uns gestern in Frankfurt getroffen haben.«
Das war kürzer als der kleine Dienstweg. Das war ein Katzensprung.
»Tja, Herr DeLange, Ihre Begeisterung freut mich natürlich.«
Jetzt nicht stottern, Alter. »Kann ich Sie …« Einladen. Ausführen. Dankbar anlächeln.
»Sehr umfangreich scheint die Akte ja nicht zu sein. Aber etwas macht mich stutzig. Ein Freund hat mir von einer Angelegenheit erzählt, die in dem Ort spielt, in dem Alexandra Raabe zuletzt gesehen wurde. Eine eigenartige Koinzidenz, finden Sie nicht auch?«
Koinzidenz. Seltsam, was für eine Distanz ein solches Wort aufbauen kann.
»Wir sollten vielleicht mal darüber reden? Bei einem Kaffee?«
Gerne. Wenn ich … Das Handy vibrierte. Ein Anruf von zu Hause. Die Mädchen.
»Entschuldigen Sie, aber meine Töchter …«
»Verstehe.«
»Kann ich Sie …?«
Aufgelegt. Er hatte einfach keinen Schlag bei den Damen.
8
Wilhelm saß vor seinem Haus auf einem weißen Plastikstuhl in der Sonne, die dünnen Beine unter einer Decke, die Hände auf dem Schoß, und sah seiner Frau zu, die mit der Hacke im Garten stand und die dunkle Erde lockerte. Lilly, klein, rund, immer gut gelaunt, war zwar auch nicht mehr die Jüngste, dachte Bremer, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben den Alten. Aber Wilhelm sah heute richtig klapprig aus.
Dennoch. Es half alles nichts. Bremer holte tief Luft. Er mußte wissen, was los war.
»Die alten Geschichten, Wilhelm. Was ist damals in ›Heinrichs Verhängnis‹ passiert? Und was habt ihr gegen Sophie Winter?«
Wilhelm senkte den Blick. Als er ihn wieder hob, schüttelte er den Kopf. »Es gibt Dinge, Paul, über die redet man besser nicht.«
»Aber wir müssen darüber reden. Irgend jemand ist hinter Sophie Winter her. Warum?«
»Komm, Paul. Das bringt doch nichts.«
»Wilhelm! Ich bitte dich! Was ist mit den drei jungen Leuten geschehen, die vor vierzig Jahren in Sophie Winters Haus gewohnt haben? Und was war mit dem Mädchen, das damals verschwand und nie wiederaufgetaucht ist?«
Wilhelm schüttelte noch immer den Kopf.
»Irgendwer hat Sophie Winters Auto manipuliert. Ihr die Luft aus dem Reifen gelassen. Sie hätte gegen einen Baum fahren können. Sie könnte tot sein. Will das jemand hier? Und wer?«
»Paul. Jetzt mach mal halblang.«
»Oder steckt ihr alle unter einer Decke? Wie damals?«
Du riskierst alles, was dir heilig ist, dachte Bremer für einen flüchtigen Moment.
»Also komm. Das ist Unsinn.«
Du riskierst alles, was du liebst.
»Laß das. Bitte.«
Du riskierst das, was du deine Heimat nennst. Bremer senkte den Kopf. Er atmete tief ein und ließ seine Wut abkühlen.
»Laß Wilhelm in Ruhe. Ich kann dir das Nötige erklären.«
Gottfried. Er hatte ihn nicht kommen hören. Er stand am Gartentor, das Gesicht in grimmige Falten gelegt, die geballten Fäuste in die Hosentaschen gesteckt und die Schultern vorgeschoben. Ganz störrischer Bulle.
»Setz dich«, sagte Wilhelm müde und klopfte auf den freien Stuhl. »Kaffee?«
Gottfried schüttelte den Kopf. Aber wenigstens setzte er sich, wenn auch nur ganz vorne auf die Kante des Gartenstuhls, damit es ja nicht so aussah, als ob er es sich gemütlich machen wollte.
»Wegen der Frau, die in ›Heinrichs Verhängnis‹ wohnt. Sophie Winter.« Gottfried räusperte sich. »Du siehst das alles falsch, Paul. Hier hat niemand etwas gegen Zugezogene. Dich ertragen wir ja auch.« Ein
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