Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
hörte die spöttische Abwehr in seiner Stimme. »Was regt ihr euch auf? Es ist ein Roman, es ist erfunden, sie hat die Sache von damals ein wenig zugespitzt, was kümmert es euch?«
    »Die Sache reißt alte Wunden wieder auf, verstehst du. Tiefe Wunden.« Wilhelms Stimme klang heiser und brüchig.
    »Und deshalb läßt man ihr die Luft aus den Reifen?«
    Gottfried ignorierte seinen Einwurf. »Erika ging immer wieder dorthin. Sie war völlig fasziniert von den dreien. Und sie hatte ihren eigenen Kopf, niemand konnte sie hindern. Aber sie war nicht ganz richtig, verstehst du? Marie hat sich fast umgebracht vor Sorgen.«
    »Marie?«
    Gottfried sah plötzlich unendlich hilflos aus.
    »Erika ist – sie war Maries Schwester«, sagte Wilhelm behutsam. »Sie hat sich vor vielen Jahren das Leben genommen.«
    Maries Schwester. Nun verstand er wenigstens eines: Maries Bitterkeit.
    »Urteile nicht so hart, Paul. Wir waren jung und dumm.« Gottfried war aufgestanden und hielt Bremer die Hand hin. Paul sah seinem Nachbarn in die Augen, zögernd. Er zögerte zu lange. Als er die Hand mit den rissigen Fingernägeln ergreifen wollte, wandte Gottfried sich ab und ging. Ohne Gruß.
    Der alte Mann auf dem billigen weißen Plastikstuhl legte die knotigen Hände ineinander, als ob er betete. »Das alles ist lange her und gehört vergessen«, sagte Wilhelm leise.
    Bremer schwieg. »Kannst du vergessen, Wilhelm?« fragte er nach einer Weile.
    Der alte Mann streckte den Fuß aus und zertrat mit der Schuhspitze einen Käfer vor ihm auf dem Boden, der auf dem Rücken lag und strampelte. »Nein, Paul. Ich wünschte, ich könnte es. Aber es begleitet mich Tag für Tag und Nacht für Nacht. Alles.«
    Vergessen ist Gefahr und Gnade zugleich. Wenn Bremer nur wüßte, wer das gesagt hat.
    Für Wilhelm schien es keine Gnade zu geben.

9
    Caro saß am Küchentisch über Büchern und Heften und lutschte an einem Stückchen Ananas. Flo war nicht da. Bevor DeLange Panik kriegen konnte, schaltete sich sein innerer Terminkalender ein. Ruhig, Alter. Sie ist beim Judotraining.
    »Mathearbeit. Morgen in der zweiten Stunde.« Caro. Ganz Konzentration.
    »Hast du Hunger?« Müßige Frage. Er kannte die Antwort.
    »Nöööö.«
    Hunger hatte die kleine Bohnenstange nie. DeLange hätte ihr liebend gern über das glänzende Haar gestrichen, aber das war schon lange nicht mehr erlaubt. »Laß das, Papa.« Weil man irgend etwas in Unordnung bringen könnte, was auch immer, nichts jedenfalls, was er als Frisur identifizieren konnte. Aber welcher Mann konnte das schon.
    Er war froh, daß sie ihn nicht ansah und ihn fragte, warum er so ein Gesicht machte. Flo sollte dabeisein, wenn er ihnen die Nachricht überbrachte. Er kam sich wie ein geprügelter Hund vor, als er sich aus der Küche schlich, hoch in sein Zimmer. Die Fotos. Sie lagen in einer Schachtel ganz unten im Bücherregal. Er hatte sie sich seit Jahren nicht mehr angesehen. Und er würde es auch an diesem Tag nicht tun. Er holte die Schachtel aus dem Regal, stellte sie auf den Tisch am Fenster, setzte sich, legte den Kopf auf den Deckel und wartete, bis sein Gesicht sich wieder entkrampfte. Er hatte vergessen, wie schmerzhaft Weinen sein kann. Dann ging er wieder nach unten in die Küche.
    »Gibt’s nichts zu essen? Bloß die blöde Ananas?« Flo. Endlich. Gerötete Wangen, verstrubbeltes Haar, blitzende Augen. Und dann sah sie ihn an, und ihr Gesicht veränderte sich. »Jo? Papa?«
    DeLange setzte sich an den Küchentisch. Was tat man in solchen Fällen? Nimmt man die Kinder in den Arm oder schildert man alles möglichst sachlich? Er tat das, was er immer tat. Er legte den Fall dar.
    Caro saß steif auf ihrem Stuhl und ballte die schmalen Fäuste. Flo war hektisch aufgestanden, rief »Ich google das« und lief in ihr Zimmer zum Computer.
    »Warum hast du Mama verlassen?« Caro, tonlos. »Das wäre nie passiert, wenn du bei ihr geblieben wärst.« Rote Flecken im Gesicht. Kurz vorm Losheulen.
    DeLange rührte sich nicht. Sollte er vielleicht »es war genau umgekehrt« sagen? Eure Mutter hat mich verlassen, weil irgend so ein Künstlerfuzzi ihr das Blaue vom Himmel versprochen hat, bevor er sie sitzenließ? Und könntet ihr euch bitte mal bei diesem anderen Arschloch beschweren, das nicht gemerkt hat, wie schlecht es ihr ging?
    Flo in der Tür. Ein bedrucktes Blatt Papier in der Hand. Zittern in der Stimme. »Ein Waterhouse-Friderichsen-Syndrom tritt bei etwa 15 % der Patienten mit einer

Weitere Kostenlose Bücher