Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
matter Scherz, ein schiefes Lächeln, aber immerhin.
»Niemand hat was gegen Sophie Winter. Aber die Frage ist doch wohl erlaubt, was sie hier will, oder?«
Bremer lehnte sich zurück und betrachtete seinen Nachbarn. »Was soll sie denn schon hier wollen, Gottfried? Das Haus ist schön und romantisch und liegt ruhig, genau das Richtige für Städter mit Sehnsucht nach Landleben.«
Gottfried spuckte aus. »Paul, die Frau hat ein Buch geschrieben, das in einer schönen, romantischen Fachwerkvilia spielt, vor vierzig Jahren. In einer Gegend, die man glatt mit unserer hier verwechseln könnte. Und in diesem Buch begeht ein ganzes Dorf einen Mord. Man weiß ja, wie sie sind, die Bauern. Dick, dumm und gewalttätig.«
Bremer wollte etwas sagen, aber Gottfried legte ihm die Hand auf den Arm, die Hand, an der der Mittelfinger fehlte und die dennoch stark genug war, so daß ihr Griff weh tat. »Dieses Buch wird ein großer Erfolg. Und daraufhin kauft die Autorin eine Fachwerkvilla, in der es Vorkommnisse gegeben hat, vor vierzig Jahren, also etwa zu der Zeit, in der das Buch spielt. Merkst du was?« Gottfried tippte sich an die Stirn. »Da zählt doch jeder eins und eins zusammen und kommt zum gleichen Schluß: Hier in dieser gottverlassenen Gegend wohnen Mörder, die bis heute ungeschoren geblieben sind. Ich frage mich, wann das erste Fernsehteam anrückt und uns alle befragt. Motto: Ist es nur Literatur, oder ist es auch Wirklichkeit?«
Bremer fühlte ein Gefühl in sich hochsteigen, das er im Umgang mit Gottfried nicht kannte: Ungeduld. Er schien wie alle anderen nur um seinen guten Ruf besorgt zu sein, die Wahrheit interessierte niemanden. »Gottfried, ich kenne das Buch von Sophie Winter nicht, aber ich weiß, was damals passiert ist.« Sofern Gregor Kosinski nicht etwas Wesentliches unterschlagen hatte.
Der beste Nachbar der Welt beugte sich vor. »Paul.« Er flüsterte fast. »Bei allem, was mir heilig ist. Wir haben uns damals ziemlich übel aufgeführt. Ich will da gar nichts schönreden.«
Wir. Er war also auch dabeigewesen. Und dabei mußte Gottfried damals fast dreißig gewesen sein. In dem Alter begeht man keine Dummejungenstreiche mehr.
»Es ging um Erika. Versteh doch.«
Bremer kannte keine Erika. Oder doch. Kosinski hatte ein Mädchen erwähnt, das so hieß. Sie war nicht ganz richtig im Kopf.
»Erika ist bei den Hippies ein und aus gegangen. Das machte uns Sorgen, und ich …« Er biß sich auf die Lippen. »Also wir sind hin und haben denen die Meinung gesagt.« Gottfried sah nicht auf, aber er hatte den Anstand zu erröten.
»Die Einrichtung demolieren, die Bewohner verprügeln, die drei wie beim Indianerspiel an den Marterpfahl binden – das nennst du Meinung sagen?«
Gottfried schüttelte den Kopf. »Paul, wir waren schlimm genug. Aber das – das stimmt einfach nicht. Ich hab dem Kerl eins aufs Maul gegeben, weil er beleidigend wurde, Charles nannte sich der eingebildete Depp. Den Frauen haben wir kein Haar gekrümmt. Und natürlich haben wir sie nicht an den Marterpfahl gebunden, wofür hältst du uns denn?«
Für frisch zivilisierte Barbaren, dachte Bremer und schämte sich für den Gedanken, wenn auch nur ein bißchen.
»Wir haben mit dem Verschwinden des Mädchens nichts zu tun. Vor allem haben wir keinen Mord begangen.«
»Bist du sicher?« Was nicht paßt, wird passend gemacht. Und was stört, kommt weg. Unkraut sowieso. Aber auch junge Hunde, Katzen und Kälber, die nicht so sind, wie sie sein sollen. Warum nicht Menschen?
»Das alles ist vierzig Jahre her, es war eine andere Zeit damals«, sagte Wilhelm, fast flehentlich. »Zwei Frauen und ein Mann gemeinsam in einem Haus. Das gehörte sich nicht.«
»Ach was. Wir mochten sie einfach nicht, die Hippies, die Langhaarigen, die nicht arbeiteten und von freier Liebe quatschten. Die in weißen Gewändern im Garten herumstanden und irgendeine Art Kult betrieben. Und dann – Rauschgift.« Gottfried fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Wir haben alle geglaubt, sie würden den Kindern Drogen verkaufen. Sie auf dumme Ideen bringen. Wir wollten sie nicht da haben bei uns, verstehst du?«
Ja, dachte Bremer. Ich verstehe. Es konnte nicht gutgehen. Aber Gewalt? Und womöglich Mord?
»Ich wüßte es, wenn damals mehr passiert wäre als eine kleine Prügelei.« Gottfried hatte sich wieder zurückgelehnt, nun saß er doch auf dem Stuhl, als ob er noch eine Weile bleiben wollte.
»Dann ist doch alles gut«, sagte Bremer und
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