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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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weiteres Mal klopfen konnte, öffnete sich die Tür.
    Blaß sah sie aus und schmal. Und wütend. »Lassen Sie mich in Ruhe! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich Sie anzeige, wenn Sie nicht …«
    »Frau Winter, Sie verwechseln mich«, erklärte Bremer und verhaspelte sich dabei. Die braunen Rehaugen in dem weißen Gesicht ließen nicht erkennen, daß sie wußte, wer er war.
    »Es geht um Ihr Auto.«
    »Mein Auto?« Ihr Blick ging hinüber zur Straße.
    »Erinnern Sie sich? Sie haben Ihr Auto im Wäldchen stehengelassen, es hatte einen Platten.«
    »Ich?« Sie sah verwirrt aus. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich war die ganze Zeit zu Hause«, sagte sie und öffnete die Tür ein Stück weiter. »Die müssen das Auto gestohlen haben.«
    »Wer, Frau Winter?« Das paßte ins Bild. Es paßte zu allem, was er gehört und vermutet, und zu dem, was er eben gesehen hatte. »Und wissen Sie, daß jemand das Telefonkabel aus der Buchse gerissen hat? Ihr Telefon ist tot.«
    Der Wind frischte auf. Sie stand da, als ob sie fror, in einem Kimono aus roter Seide, den sie mit beiden Händen über der Brust zusammenhielt.
    »Sie sollten die Störungsstelle anrufen.«
    Sie nickte. Dann hielt sie ihm die Tür auf.
    Bevor er die schwere Haustür hinter sich schließen konnte, fegte der nächste Windstoß heran und hinein. Bremer folgte Sophie Winter in das große Kaminzimmer. Auf dem Tisch, dem Boden, dem Sofa lagen kleine Zettel, mittendrin die weiße Katze, die die Zettel gejagt zu haben schien und jetzt auf dem Boden kauerte und mit der Pfote nach ihnen tastete, als ob sie sie am Auffliegen hindern wollte.
    »Soll ich?«
    Bremer kniete schon. Alle Zettel waren beschrieben, in einer kleinen, sparsamen Handschrift. »Brot, Milch, Käse, Tomaten, Eier« stand auf einem. Ein Einkaufszettel. »Batterien!!!!« auf dem anderen. Der dritte war schon merkwürdiger: »Sie kommt wieder. Sie ist da. Sie bleibt.« Skizzen für ein neues Buch? »Fenster. Wer kennt Glaser?« Das war konkret.
    Ebenso konkret war die Telefonnummer der Polizei. Aber die kannte man eigentlich auswendig.
    Bremer legte die Zettel auf den Couchtisch, neben die Vase mit den verblühten Narzissen, deren vertrocknete Blüten weiß und durchsichtig waren wie Papier. Die Katze beobachtete ihn dabei, die Pfote fest auf die restlichen Zettel gestemmt. Als Bremer die Hand danach ausstreckte, knurrte sie, als ob er ihr eine erbeutete Maus wegnehmen wollte.
    »Wie heißt sie?« Bremer blickte auf. Sophie Winter stand noch immer in der Tür, verfroren und verwirrt. Sie antwortete nicht.
    »Ich meine die Katze. Wie rufen Sie sie?«
    »Ich weiß nicht.« Sophie Winter zögerte. Dann lächelte sie, ein schüchternes, kleines Lächeln. »›Komm her‹? ›Es gibt Futter‹? ›Sei brav‹?«
    Die Katze zog die Zettel mit der Pfote näher an sich heran und schien auf Bremers Reaktion zu warten. Ein Spiel. Bremer machte lockende Laute und streckte den Zeigefinger aus. Die weiße Pfote schlug nach ihm – mit eingezogenen Krallen.
    »Sie gehört zum Haus.« Sophies Stimme klang verträumt. »Sie wohnt schon immer hier.«
    »Auch damals? 1968?« Bremer wußte nicht, warum er das fragte. Es war schlechterdings unmöglich. Katzen wurden, wenn es hoch kam, zwanzig Jahre alt. Und diese hier war gerade mal erwachsen.
    »Immer schon«, sagte Sophie.
    Die weiße Katze machte einen Buckel, gähnte und überließ Bremer die restlichen Zettel. »Das Märchen vom Machandelboom« stand auf dem einen. »Palimpsest« auf dem anderen. Und auf dem dritten stand »Wo bist du?«, »Hunger« auf einem vierten. Er legte die Zettel zu dem Häufchen auf dem Couchtisch und stand auf.
    »Haben Sie schon gefrühstückt? Soll ich Kaffee kochen?«
    Diesmal lächelte sie. Diesmal schien sie ihn wiederzuerkennen. Dann blickte sie an sich hinunter, und er hätte schwören können, daß sie errötete. »Gerne. Ich – ziehe mir nur etwas an.« Er hörte ihre leichten Schritte auf der Treppe.
    In der Küche roch es nach Katzenfutter. Auf dem Boden lagen Scherben und eine rote Masse. Ein zerschmettertes Marmeladenglas. Bremer nahm sich Papier von der Küchenrolle und wischte notdürftig auf. Als er sich wieder aufrichtete, sah er sie – die Knochen, die er bei seinem letzten Besuch im Küchenschrank entdeckt hatte. Sie lagen auf dem Küchentisch, und es sah so aus, als hätte Sophie Winter die weißen Skeletteile zu einer Art Muster angeordnet.
    Während der Kaffee durchlief, rief er die Störungsstelle an. Irgendeiner

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