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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinssen
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es ihm in einer Beziehung zu eng wurde, sprich: wenn konkrete Zukunftspläne geschmiedet werden sollten, verspürte er plötzlich das dringende Bedürfnis zu verreisen. Wenn ein Job – was selten genug vorkam – einmal richtig lukrativ zu werden versprach, jedoch mit viel Arbeit verbunden gewesen wäre, stürzte Paul schlagartig in eine tiefe Schaffenskrise. Dieses Mal bestanden diese wichtigeren Dinge darin, ein Puzzle zu lösen. Paul grübelte lange darüber nach, warum er sich von den Geschehnissen der letzten Tage dermaßen in den Bann gezogen fühlte. Je mehr das Bier seine Gedanken beflügelte, desto mehr wunderte er sich über sich selbst und darüber, warum er so viel Energie in dieses Abenteuer steckte. Womöglich lag es an der Verquickung mit dem Namen Dürer?
    In dieser Nacht schlief Paul tief und traumlos. Die zweite angebrochene Flasche Bügelbier wachte halb geleert neben seinem Sofa.
     
    Noch immer unschlüssig über die Kräfte, die ihn mobilisierten, ging er am nächsten Morgen gut gelaunt und munter ins Bad und verließ nach spartanischem Frühstück seine Wohnung, um den Weg in den Nürnberger Justizpalast anzutreten. Wieder hatte ihn dieses unbestimmte Gefühl des Tatendrangs übermannt, und ihn trieb ein ähnlicher Adrenalinschub an wie bei seinem illegalen Auftritt im Rotkreuzzentrum.
    Die schweren, weißen Massen hielten kaum noch auf den Dächern, wenn sich ihnen kein Schneefang oder ein anderes Hindernis in den Weg stellte. Schnee klebte an Baumstämmen und Laternenmasten, an den Brückenbögen über der Pegnitz. Er verwischte die Linien der Wege und Straßen. Paul versuchte sich an seine Zeit als Abiturient zu erinnern, denn das waren auch seine letzten wirklich persönlichen Erinnerungen an diejenige, die er gleich treffen würde: Staatsanwältin Blohm, die er telefonisch um ein Treffen gebeten hatte.
    Wie hatten sie damals zueinander gestanden?, fragte er sich. Paul hatte den Schulhof seines Gymnasiums plastisch vor Augen, und er dachte an die Pausen, in denen es nur zwei vordringliche Ziele gegeben hatte: einen Kakao am Kiosk des Hausmeisters zu erstehen und danach – während man den Kakao durch einen Strohhalm saugte – Ausschau nach den attraktivsten Bräuten zu halten. Im Verhältnis zwischen Teenagern gab es lediglich zwei Alternativen: Entweder war da was, oder es war eben nichts – beide Möglichkeiten brachten am Ende nur Probleme.
    Die Typen, mit denen er es damals zu tun gehabt hatte, ließen sich relativ leicht einordnen. Da gab es die coolen Jungs mit den schlechten Noten, dafür aber guten Chancen bei den Mädchen. Während aus dieser Kategorie, zu der sich Paul ehrlicherweise selbst zählen musste, im späteren Berufsleben meistens nichts Vernünftiges geworden war, gab es auf der anderen Seite die eher Leisen, Zurückhaltenden und Unspektakulären, die weniger Spaß hatten, dafür aber gute Noten und die später zumeist eine beachtliche Karriere hinlegten.
    Doch solange Paul auch darüber nachdachte, konnte er die Staatsanwältin nicht in diesem altbewährten Muster unterbringen. Sicher wusste er bloß noch, dass sie ein sehr freundliches und sehr blondes Mädchen gewesen war, weder besonders strebsam noch besonders sexy – aber ansonsten? Der einzige ganz konkrete Bezugspunkt während ihrer gemeinsamen Schulzeit war ein Nachmittag irgendwann im Herbst, an dem sie sich durch Zufall in einem Café getroffen hatten und bei einer Tasse Milchkaffee ein paar Worte miteinander gewechselt hatten. Paul hatte diesen Nachmittag angenehm in Erinnerung behalten, und er wusste sogar noch, dass In the Air Tonight von Phil Collins im Hintergrund gelaufen war.
    Jetzt hätte Paul seine alte Schulfreundin im ersten Moment beinahe gar nicht erkannt, als er sie im U-Bahnhof Bärenschanze traf: Staatsanwältin Blohm kräuselte missbilligend ihre zart geschnittene Nase, als es eine Flocke wagte, sich auf ihr niederzulassen. Beide grüßten sich per Handschlag.
    »Tag, Paul«, sagte sie zurückhaltend und ließ das obligatorische »Lange nicht gesehen« folgen.
    »Ja, höchstens mal aus der Ferne bei Fototerminen im Gericht«, sagte Paul mit unverbindlichem Smalltalk-Lächeln. Es war schwer, auf Anhieb wieder an das Gefühl der Vertrautheit aus Schülerzeiten anzuknüpfen.
    Der Staatsanwältin schien es ähnlich zu gehen. Auch sie druckste herum. »Na ja, jetzt haben wir ja etwas Zeit, um uns mal wieder zu unterhalten.« Sie zog ihren Kragen enger zusammen. »Aber nicht hier in dieser

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