Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
verkneifen zu fragen: »Haben Sie wohl schlechte Erfahrungen mit unseren Freunden und Helfern?«
»Nein«, antwortete Paul knapp. »Ich traue den Jungs einfach nicht besonders viel zu.«
Blohfeld taxierte ihn prüfend. Ihm schienen dabei weder Pauls Dreitagebart noch die Ringe unter seinen Augen noch die Tatsache zu entgehen, dass er sich seit Tagen nicht die Haare gewaschen hatte. »Man könnte aber den Eindruck gewinnen, dass Sie selbst die eine oder andere Leiche im Keller haben«, sagte der Reporter schließlich.
»Sprechen Sie von meinen Hanfkulturen im Badezimmer? Oder von den Aktfotos der Mädels, die noch nicht ganz achtzehn waren, als ich sie fotografiert habe?«, fragte Paul bissig. »Wissen Sie«, setzte Paul nach kurzem Schweigen versöhnlich nach, »die Polizei erweckt bei mir nun mal automatisch negative Assoziationen. Wenn ich beim Autofahren eine Streife hinter mir kleben habe, frage ich mich sofort, ob ich richtig angeschnallt bin und ob das Verfallsdatum meines Erste-Hilfe-Koffers noch nicht abgelaufen ist. Und wenn ich mich mit einem von denen unterhalte, habe ich sofort das Gefühl, dass er mich wegen irgendetwas verdächtigt, und fühle mich schuldig.«
»Haben Sie dieses Problem schon einmal mit einem Psychiater diskutiert?«, scherzte Blohfeld.
Paul gab keine Antwort. Stattdessen lächelte er sein Gegenüber wissend an. Denn endlich war ihm eine Lösung für sein Problem eingefallen. Die Lösung war eine alte Schulbekanntschaft namens Blohm, die es seines Wissens inzwischen zur Staatsanwältin gebracht hatte.
Als er sich von Blohfeld verabschiedet hatte und nach Hause gefahren war, beschloss er, sich für die Mühsal der letzten Zeit zunächst einmal ausführlich selbst zu belohnen: Er nahm sich eine Halbliterflasche Bier mit Bügelverschluss aus dem Kühlschrank und studierte aufmerksam das Etikett. Paul deckte sich in seinem Getränkemarkt in der Südstadt am liebsten mit ständig wechselnden Sorten ein, um von der fränkischen Biervielfalt gebührend zu profitieren. Dieses Mal hatte er ein dunkles Landbier aus der Nähe von Forchheim erwischt.
Paul goss sich ein, lehnte sich zurück und nahm den ersten Schluck.
Für ganz kurze Augenblicke befiel ihn ein schlechtes Gewissen, denn angesichts seiner knappen Kasse müsste er sich sein Bier eigentlich in Dosen vom Billigdiscounter holen. Aber er ließ diese Bedenken gar nicht erst ernsthaft in sich aufkeimen. Zugegeben, auf eine gewisse Art mochte er ein Snob sein. Na ja, seine Mutter hätte Paul und seine Wesensart wohl auf eine etwas andere Weise beschrieben: ziemlich oberflächlich und trotz seines durchaus als reif zu bezeichnenden Alters nicht erwachsen. Aber gerade das freute ihn und ließ ihn sich jünger fühlen.
Dazu passte auch sein Hang zum Laissez-faire – seine Mutter hätte es Apathie, Lethargie oder schlichtweg Faulheit genannt. Wie dem auch sei: Wenn ihn ein Aktmodell fragte, ob denn nie jemand in seiner Wohnung aufräumte, sagte er gern: »Doch, manchmal räumen die Mädchen bei mir auf, weil sie auf der Suche nach ihrem Slip sind.« Er verschwieg jedoch die Fortsetzung: »Meistens aber nur, weil ich ihnen Leid tue.« Außerdem war der Satz geklaut von Ernest Tidyman, doch er gefiel ihm, weil er auf ironische Weise den Kern seines Gefühlslebens traf – die Einsamkeit, die ihn mit jedem weiteren Lebensjahr mehr dominierte. Gedankenverloren nahm Paul einen weiteren Schluck. Paul schämte sich nicht seiner Vorlieben und war oftmals stolz darauf, einen anderen Lebensweg eingeschlagen zu haben als die meisten seiner Bekannten. Aber eben nur manchmal. Denn der Druck schien mitunter unerträglich. Paul trug als Kinderloser nicht zum Generationenvertrag bei, über den man in letzter Zeit so unangenehm viel hörte. Er bekam dies nicht nur steuerlich zu spüren, sondern auch in Form versteckter Angriffe seiner längst verheirateten und erfolgreich fortgepflanzten Freunde aus Abiturzeiten.
Paul dachte sich angesichts schwerlich zu ändernder Perspektiven oftmals, dass es im Grunde genommen nur die Wahl zwischen asozialen Kinderlosen oder Asozialen mit mehr als drei Kindern gab. Leider sah er kaum eine Chance für sich, irgendwo zwischen diesen beiden Extremen einen Platz zu finden.
Immerhin hatte er es versucht, dachte er, während er sich nachgoss.
Seine Versuche, den goldenen Mittelweg zwischen Privat- und Berufsleben zu finden, waren gescheitert, weil es stets vermeintlich wichtigere Dinge für ihn gegeben hatte: Wenn
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