Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
ging gemütlich gemacht und nippte an einem kaffeeähnlichen Getränk in einem dünnwandigen braunen Plastikbecher, als er Blohfeld zuhörte: »Ich habe mir die Sache mit der Erlanger Dozentin bereits aus dem Archiv kommen lassen. Sie hat einige plausible Belege für ihren Vorwurf, Dürer sei ein Fälscher, angeführt.« Paul sah zu, wie Blohfeld weiter seine Tastatur bearbeitete. »Die Fachwelt hat zum Beispiel bis heute nicht geklärt, wann Dürer seinen Johannes der Täufer gemalt hat. Einige Forscher datieren ihn auf die Jahre nach 1495, weil das Gemälde die frischen Renaissance-Eindrücke von Dürers Venedigreise widerspiegelt. Andere tippen angesichts der Tatsache, dass es unvollendet geblieben ist, auf die Jahre nach 1505, als er Nürnberg wegen der Pest fluchtartig verlassen hatte.«
»Schön und gut, das sagt etwas über die zeitliche Zuordnung aus, aber nichts über Dürers Authentizität.« Irgendwie hatte Paul das Gefühl, Dürer verteidigen zu müssen.
Blohfeld nickte und lächelte feinsinnig. »Unsere Feuilletonisten haben mich darüber aufgeklärt, auf was Dürers Erlanger Intimfeindin hinauswill: Das Bild wirkt so stark und packend, weil der Künstler den Betrachter durch seine – ich zitiere – ›souveräne Beherrschung der Anatomie und Psychologie‹ in den Bann zieht. Aber jetzt kommt der eigentliche Clou: Die Felsformationen und die Bäume im Hintergrund haben mediterrane Vorbilder, das anschließende, steile rote Ziegeldach scheint demgegenüber wie eine diskrete Verbeugung vor dem Norden und dem vermeintlichen Nürnberger Auftraggeber der Tafel zu sein.«
»Sie meinen …«, sponn Paul den Gedanken fort. »Der Täufer entstand tatsächlich schon um 1495. Ein unbekannter Malergeselle, wahrscheinlich italienischer Herkunft, schuf den eigentlichen Inhalt des Bildes – und Dürer setzte nur den fränkischen Touch hinzu.«
»So jedenfalls sieht es die Kunstforscherin«, bestätigte Blohfeld. »Der nackte, vom rotbraunen Fellgewand mehr betonte als verhüllte Körper des Täufers ist der eines antiken Heros mit allem, was dazugehört. Aber schauen Sie mal genau hin!« Blohfeld hatte das Bild auf den Schirm seines Computers geholt und wählte mit den Cursor einen Ausschnitt. »Im Gegensatz zur Haltung und dem ganzen Drumherum steht das ausgemergelte Gesicht mit klagend zum Himmel gerichteten Augen – die laut unserer werten Unruhestifterin eher an ein Werk des zweiten überragenden Malers aus Dürers Zeiten erinnern: den Isenheimer Altar und den dort abgebildeten, strengen Johannes der Täufer.«
»Mit anderen Worten«, schloss Paul noch zweifelnd den Kreis der Erkenntnis, »Dürers Werke sind tatsächlich nicht die eines einzelnen …«
»… sondern die einer klassischen Bande von Etikettenschwindlern, eines aufs Geldmachen ausgerichteten Syndikats«, brachte es Blohfeld auf den Punkt. »Sie, Flemming, und ich sind Laien in diesem Metier. Aber blättern Sie einmal einen x-beliebigen Kalender mit Dürer-Werken durch. Meinetwegen den, den Sie von Ihrer Bank zu Weihnachten geschenkt bekommen haben. Sie werden feststellen, wie heterogen Dürers Werke tatsächlich sind.«
»Als wären sie von verschiedenen Künstlern seiner Zeit gemalt worden«, schlussfolgerte Paul und fühlte trotzdem ein tiefes Widerstreben gegen diese Theorie.
»Richtig«, Blohfeld klickte das Bild von seinem Monitor und öffnete ein neues Word-Dokument. »Also dann schießen Sie mal los und diktieren mir Densdorfs letzte Worte. Mal sehen, was ich davon in die aktuelle Ausgabe übernehme und was ich mir aufhebe. Wann überlassen Sie mir eigentlich die Fotos?«
Paul hob zu einer Antwort an, zögerte aber. Er hatte die Bilder bewusst nicht mit zu diesem Treffen genommen. Er hatte die letzten Abzüge von den Filmen, die er auf der Liebesinsel geschossen hatte, zu den anderen Aufnahmen in seiner Fototasche gesteckt und sie in der kleinen Truhe in seinem Flur verstaut. Irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen, die Fotos an den Reporter zu verkaufen.
Vielleicht sein wieder aufkeimendes Pflichtbewusstsein. Nach dem Motto: Ich bin ein braver Staatsbürger! Aber nicht brav genug, um die Fotos zur nächsten Polizeiwache zu bringen.
Blohfeld schien seine Gedanken lesen zu können, denn er fragte misstrauisch: »Sie haben die Filme doch nicht etwa schon zur Polizei gebracht?«
»Nein, nein«, sagte Paul, »da brauchen Sie keine Angst zu haben.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Blohfeld und konnte es sich offenbar nicht
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