Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Zimmer, das von einem mächtigen Eichenholzschreibtisch mit zu Löwenpfoten geschnitzten Füßen dominiert wurde. Dasselbe Motiv fand sich in Schnitzereien an einem ebenfalls gewaltigen Wandschrank und an den Enden der Lehnen eines mit dunkelgrünem Leder bezogenen Schreibtischsessels wieder. Paul war versucht, nach weiteren Geschmacklosigkeiten dieser Art Ausschau zu halten, doch etwas ganz anderes zog ihn in seinen Bann: Auf dem Schreibtisch lag ein Stoß Bücher. Die weißen Bestandslistenaufkleber auf den Rücken wiesen sie als Leihgaben aus der Stadtbücherei aus. Paul näherte sich dem Schreibtisch. Es handelte sich um kunsthistorische Abhandlungen über die Werke Dürers und anderer Maler aus seiner Zeit.
Während Blohfeld sich mit leidlichem Erfolg um Konversation mit Frau Densdorf bemühte, schaute sich Paul weiter um. Auf einem Ecktisch stapelten sich ebenfalls Bücher. Abermals zum Thema Dürer. Paul fiel auf, dass es sich weder um Dürer-Biografien handelte, noch um Fachliteratur über historische Architektur aus Dürers Lebzeiten – was im Hinblick auf die Dürerhaus-Sanierung vielleicht Sinn ergeben hätte –, sondern um reine Kunstführer.
Blohfeld bemerkte Pauls Interesse und zog offenbar die gleichen Schlüsse wie er. An Frau Densdorf gewandt fragte er: »Ihr Mann war von Dürer begeistert, ja?«
Frau Densdorf stutzte, bevor auch sie auf die Bücherstapel sah. »Oh, nein, nein.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Er war nicht gerade ein Mann der Kunst. Er hat erst vor ein paar Tagen damit angefangen, sich diese vielen Wälzer ins Haus zu holen. Bis tief in die Nacht hinein hat er darin gelesen.« Mit ratlosem Ausdruck nahm sie eines der Bücher in die Hand. »Vielleicht wollte er sich damit ablenken.«
»Ablenken, wovon?«, fragte Blohfeld augenblicklich nach.
»Mein Mann hat seit kurzem in Schwierigkeiten gesteckt. Ich weiß nicht, welcher Art diese Schwierigkeiten waren. Ich will es auch gar nicht wissen. Ich hoffe nur, dass das alles nicht auf mich zurückfällt.« Ihre Wangen glühten, als sie hektisch auf den Reporter zuging und bat: »Gehen Sie jetzt bitte.«
Die Frau tat Paul Leid. Nach den Eindrücken dieser kurzen Begegnung zu urteilen, war Frau Densdorf eine intelligente und vielschichtige Frau, die am Charakter ihres Mannes zerbrochen war.
Weil nach einem ungeschriebenen Gesetz stets die Fotografen fahren und sich die Redakteure chauffieren lassen, setzte sich Paul ans Steuer des Redaktionsautos, auf dessen Türen in großen Buchstaben der Name des Blatts zu lesen war. Blohfeld lehnte sich zurück und massierte mit den Fingern seiner rechten Hand die Stirn.
»Wir fahren noch bei meinem Metzger in Zabo vorbei«, ordnete Blohfeld an, als Paul den Wagen startete. Er fuhr an und bemerkte, dass der Reporter im Beifahrersitz regelrecht zusammengesackt war. Der Mann war augenscheinlich erschöpft und ausgebrannt.
Blohfeld könnte längst Redaktionsleiter sein oder Chefredakteur in München oder Berlin. Wenn er damals nicht über diese dumme Sache gestolpert wäre … Was Paul über Blohfeld wusste, war fragmentarisch und doch schlüssig: Blohfeld war einmal ganz oben gewesen. Er hatte schon in jungen Jahren den Zeitschriftenolymp erklommen und war in der Medienhauptstadt Hamburg gegen immer bessere Gehälter von einem renommierten Verlagshaus zum nächsten gereicht worden.
Doch Blohfeld hatte einen Fehler gemacht. Dieser Fehler lag inzwischen fast zehn Jahre zurück, aber er hatte ihn sein Renommee und eine hoch dotierte Festanstellung gekostet: Blohfeld hatte sich mit obskuren Kunsthändlern eingelassen, mit denen er gemeinsam mehreren Bildern des niederländischen Malers Jan Vermeer nachjagte, die seit dem Krieg verschollen waren. Ihm war es tatsächlich gelungen, die Werke aufzuspüren und in seinem Magazin zu präsentieren. Dann folgte ein vermisster Renoir, dann ein Van Gogh – und dann platzte die Blase mit lautem Knall.
Es war ein offenes Geheimnis, dass Blohfeld seinerzeit einem Hochstapler aufgesessen war und sich auf Basis falscher Tatsachen zu Schlagzeilen hinreißen hatte lassen, die dem Magazin im Nachhinein einen enormen Imageschaden zufügten. Blohfeld und seine gefälschten Meisterwerke gingen nach dem Skandal wochenlang durch die Presse in ganz Deutschland.
Seitdem war Blohfeld in Nürnberg beschäftigt. Nicht beim Marktführer, und die Jobs, die er bekam, waren sicherlich nicht mit denen seiner Glanzjahre zu vergleichen. Seine oftmals bissigen
Weitere Kostenlose Bücher