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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinssen
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seien; ohne Erkenntnis der Sünde, ohne die Hingabe an das Schädliche und Verzehrende ist alle Moralität nur läppische Tugendhaftigkeit.«
    Aussagen wie diese waren es, die Paul trotz gelegentlicher Selbstzweifel darin bestätigten, seinen gewohnten Lebensstil beizubehalten – und die ihn zu Dingen veranlassten, vor denen er sonst vielleicht zurückgeschreckt wäre. Wie etwa, Victor Blohfeld zu diesem Auftrag zu begleiten. Sie hatten sich aus zwei Gründen im vornehmen Erlenstegen verabredet. Erstens, um – mit etwas Glück – ein neues Licht auf den Fall Densdorf zu werfen. Zweitens, um ihren Job zu machen: Blohfeld als Reporter für seine Zeitung und Paul weiterhin als freier Fotograf, quasi als Fotosöldner in Blohfelds Diensten.
    Mit der Straßenbahn gelangte Paul an sein Ziel. Der Wagen war gestopft voll mit Menschen und Plastiktüten, in denen Geschenke jeder Art und Größe nach Hause geschleppt wurden. Bis zur Endstation hatten die meisten die Straßenbahn verlassen. Nur einige Paare mit deutlich kleineren Tüten – aber dafür wohl mit hochwertigeren Inhalten – waren mit Paul bis Erlenstegen sitzen geblieben. Die letzten Meter ging er zu Fuß. Vorbei an lang gezogenen Grundstücken, die durch hohe Mauern oder blickdichte Hecken abgeschirmt waren. Der Neuschnee, der unablässig vom Himmel flockte, war so pappig, dass jeder seiner Schritte Geräusche machte wie knirschendes Styropor.
    Blohfeld war bereits bei der Arbeit. Paul kam dazu, als Blohfelds Finger schon über dem Klingelknopf neben dem weiß lackierten Gartentor der schmucken Vorortvilla der Densdorfs schwebte. Blohfeld strich eine Strähne seines für sein Alter und seinen Stand etwas zu lang gehaltenen, grauen Haares zurück. Die spitzbübischen Augen über seiner schmalen Himmelfahrtsnase funkelten entschlossen. Dennoch hatte Paul den Eindruck, dass ihm die bestehende Aufgabe nicht leicht fiel.
    Aus der Tasche von Blohfelds Wintermantel sah Paul das Kabel eines Diktaphons lugen. Blohfeld gab Paul einen Wink, sich etwas im Hintergrund zu halten, als er den Klingelknopf drückte. Es war immer besser, erst einmal ohne Fotografen in Erscheinung zu treten, wenn es um die niedrigste und doch ruhmversprechendste Aufgabe eines Journalisten ging: das so genannte Witwenschütteln.
    Paul blieb also zwei Schritte zurück und verfolgte stumm die ebenso traurige wie groteske Szene. Der Witwenschüttler streckte sein Kreuz, wie um sich zu entspannen. Er wusste ganz offensichtlich um sein – gegenüber Fremden – sympathisches Auftreten und sein gewinnendes Wesen, das vor allem bei älteren Damen Wirkung zeigte.
    Die Tür öffnete sich mit weitem Schwung.
    »Das Böse in der Welt rührt fast immer von der Unwissenheit her«, sagte eine Frau im Türrahmen. Paul starrte die gespenstische Erscheinung fassungslos an, hielt sich aber unauffällig hinter Blohfeld.
    Dieser lächelte bemüht. »Victor Blohfeld. Mein Beileid. Darf ich hereinkommen?«
    Die Frau war zutiefst zerrüttet. Ihr faltiges Gesicht war schlecht geschminkt, die Augen rot vom Weinen. Sie war groß und von kräftiger Statur, gleichzeitig aber zerbrechlich und unbeholfen in jeder Bewegung. Mit dem mysteriösen Schatten auf Pauls Fotos hatte sie nichts gemein, und er strich sie gedanklich von seiner Verdächtigenliste.
    »Darf mein Fotograf vielleicht auch …?«, fragte Blohfeld.
    »Der gute Wille kann so viel Schaden anrichten wie die Bosheit«, faselte Frau Densdorf.
    Blohfeld winkte Paul dezent herein. Sie standen jetzt in der Diele der Villa. Paul registrierte antikes Mobiliar und eine ausgeprägte Vorliebe für Tiffany.
    »Das Halbwahre ist verderblicher als das Wahre«, drückte Frau Densdorf ihre Enttäuschung aus, und Empörung schwang in ihrer Stimme.
    Paul war angespannt. Wie würde Blohfeld auf dieses Gerede eingehen? Wie würde er es schaffen, das Gespräch zu lenken und die Frau zu aussagekräftigen Antworten zu zwingen? Er bemerkte eine Veränderung im Blick des Reporters.
    Blohfeld trat näher an die Witwe heran. Er taxierte sie. So intensiv, dass sie seinem Blick nicht ausweichen konnte. Blohfelds Stimme war leise und unaufdringlich, als er sagte: »Ich möchte es vermeiden, gewisse Dinge direkt anzusprechen.«
    Mehr als dieser Satz – ein gezielt ausgespieltes Herz Ass – war nicht nötig, um von der Frau für voll genommen zu werden. Paul war beeindruckt.
    »Glauben Sie mir: Sie machen es mir leichter, wenn Sie es direkt aussprechen«, sagte Frau Densdorf. Wasser sammelte

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