Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinssen
Vom Netzwerk:
sich in ihren Augen.
    »Sie waren fast dreißig Jahre mit Ihrem Mann verheiratet. Eine Jugendliebe sozusagen.« Blohfeld zog langsam sein Diktaphon aus der Jackentasche.
    »Ja, dreißig glückliche Jahre. Ich habe von den Affären meines Mannes bis kurz nach seinem Tode nichts gewusst«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Das ist es doch, was Sie wissen wollen, ja?«
    Im Hintergrund trat Paul näher und positionierte sich für seine Aufnahmen.
    »Es braucht mitunter sehr lange, um einen Menschen wirklich zu kennen.«
    Paul zoomte heran, bis ihr Gesicht das Bild vollkommen ausfüllte: Ihr Blick zeigte, dass sie gebrochen war. Es stand ein unverarbeitetes Erstaunen in ihren Augen, und es war nicht zu erkennen, ob es das Erstaunen über den Tod ihres Mannes oder über dessen ausufernden Lebensstil war, den sie über all die Jahre – ob absichtlich oder unabsichtlich – nicht wahrgenommen hatte.
    »Liebe auf den ersten Blick ist ungefähr so zuverlässig wie eine Diagnose auf den ersten Händedruck.«
    »Praktizieren Sie eigentlich noch als Ärztin, Frau Densdorf?«, fragte Blohfeld und verbesserte sich dann: »Frau Dr. Densdorf.«
    Frau Densdorf betrachtete ihn mit leerem Blick: »Seit langem nicht mehr. Ich habe meine Karriere zugunsten der meines Mannes aufgegeben. Bitte, das soll nicht klingen wie ein Vorwurf. Ich habe mich ja selbst für diesen Lebensweg entschieden.«
    »Ihr Mann war ein bedeutender Vertreter unserer Stadt. Sein Einfluss und seine Stimme waren außerordentlich gewichtig und ein gebührender Nachruf –«
    »Können wir bitte zum Punkt kommen?«, sie wischte sich mit einem spitzenbesetzten Tuch über die Augen, die dadurch nur noch roter und verquollener wirkten. »Für einen anständigen Nachruf haben Sie alles, was Sie benötigen, in Ihrem Archiv. Sie wollen dasselbe von mir hören wie die Polizei. Ob er Feinde hatte. Ich sage Ihnen dasselbe, das ich der Polizei gesagt habe: Ja.«
    Blohfeld wechselte einen schnellen Blick mit Paul. »Wer konnte vom Tod Ihres Mannes profitieren?«
    Paul schoss seine Bilder. Frau Densdorf schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Komme ich so gut raus in Ihrer Zeitung?« Ihr Blick war bemitleidenswert. »Um ehrlich zu sein, halte ich nicht besonders viel von Ihrem Blatt. Mein Mann tat das auch nicht. Gerade deswegen spreche ich mit Ihnen. Weil es meinen Mann geärgert hätte.«
    Blohfeld versetzte diese Äußerung offenbar einen Stich. Paul machte sich seinen Reim darauf: Blohfeld fühlte sich zum Reporter zweiter Klasse degradiert, und das nicht zum ersten Mal während seiner Zeit in Nürnberg. Paul wusste, dass Blohfeld eine bewegte journalistische Laufbahn mit einigen glänzenden Jahren hinter sich hatte. Im Vergleich dazu haftete an seinem jetzigen Posten der Ruch des nahenden beruflichen Endes. Paul hätte es nicht gewundert, wenn Blohfeld selbst sich als jemand betrachten würde, den man aufs Abstellgleis geschoben hat.
    Aber der Reporter besaß offenkundig genug Professionalität, um mit dieser Gefühlswallung fertig zu werden, denn Paul beobachtete, wie sich seine Gesichtszüge wieder glätteten. »Sie glauben also nicht an einen Unfall?«, fragte Blohfeld betont neutral.
    »Nein. Ich zum Beispiel hätte – im Nachhinein betrachtet – alle Gründe dieser Welt gehabt, diesen scheinheiligen Betrüger in die Pegnitz zu stoßen. Betrunken, wie er war, hat er wahrscheinlich ohnehin nichts davon mitbekommen.«
    Dann lächelte sie gutmütig. Zwischen all den Tiffanylampen und -vasen in der herrschaftlich großen Diele sah sie aus wie eine ältliche, reichlich derangierte englische Lady. »Kann man etwas nicht verstehen, sollte man lieber keine Schlüsse ziehen.«
    Paul fragte sich allmählich, ob ihr Besuch nicht doch reine Zeitverschwendung war. Doch dann hörte er Blohfeld fragen: »Wäre es möglich, dass wir einen kurzen Blick ins Arbeitszimmer Ihres Mannes werfen?«
    »Was versprechen Sie sich davon?«, fragte Frau Densdorf betonungslos.
    »Ich könnte mir dann ein besseres Bild machen«, sagte Blohfeld.
    Die Witwe zuckte mit den Schultern. Dann ging sie voran, und Paul und Blohfeld folgten ihr eine ausladende Treppe aus dunklem, fast schwarzem Holz hinauf. Das Ambiente des Obergeschosses fiel in Pauls persönlicher Einstufung in den Bereich des spießbürgerlichen Barock. Die Densdorfs hatten einen Hang zum Pompösen. Die dunklen Farben der Tapeten und des Bodens gaben dem Ganzen zudem eine bedrückende Note.
    Frau Densdorf öffnete die Tür zu einem großen

Weitere Kostenlose Bücher