Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Bemerkungen und seine Launen erklärte sich Paul damit, dass Blohfeld es nie gelernt hatte, mit seinem neuen Leben nach dem Skandal zurechtzukommen. Paul fragte sich, ob Blohfeld sich für sein Versagen hasste.
Sie erreichten den Stadtteil Zerzabelshof wenige Minuten später.
»Eine kleine Zwischenmahlzeit wird uns gut tun«, bestimmte Blohfeld und fügte griesgrämig hinzu: »Auch wenn das unsere Schlappe von eben nicht wettmachen kann. Wir brauchen dringend mehr Informationen. Was uns fehlt, ist ein direkter Draht zur Kripo. Oder besser noch zur Staatsanwaltschaft.«
Paul nickte verhalten und konnte ein verräterisches Hüsteln nicht unterdrücken.
Der Reporter ließ Paul den Wagen direkt vor dem Metzger im Halteverbot parken und sah Paul neugierig an. »Oder haben wir etwa doch noch ein Ass im Ärmel?«
Paul hüstelte erneut.
»Raus damit, Kollege!«
Paul berichtete in knappen Worten von seiner gerade wieder aufgefrischten Bekanntschaft mit Katinka Blohm.
»Na also«, lobte Blohfeld, »wir werden noch richtig gute Partner.«
Paul klammerte sich an das Lenkrad. »Ich habe versprochen, keine Informationen an Sie weiterzugeben«, wandte er halbherzig ein.
»Kommt Zeit, kommt Rat«, gab sich Blohfeld genügsam – vorerst jedenfalls, wie Paul ahnte.
Als er zusammen mit Blohfeld den Laden des Metzgers betrat, sah er durch die offene Tür hinter der Theke, dass durch den Hintereingang Schweinehälften hereingetragen wurden. Unwillkürlich musste er wieder an die Toten denken, die ihn in seinen Gedanken seit drei Tagen auf Schritt und Tritt begleiteten.
8
Dürer, Dürer, Dürer. Einerseits war ihm Albrecht Dürer ja seit vielen Jahren sehr vertraut. Zumindest konnte Paul das von seinen Werken und seinen Lehren behaupten. Der Privatmann Dürer hatte ihn dagegen bisher weniger interessiert. Vielleicht musste er diesen Standpunkt nun ändern. Denn in Verbindung mit den Ereignissen der letzten Tage stolperte er seltsam häufig über Dürer, überlegte Paul, während er es sich in seiner Wohnung gemütlich machte und sich auf einen ungestörten Abend zu Hause vorbereitete.
Ein anderer hätte sich wahrscheinlich vor den PC gesetzt und im Internet geforscht, um die Wissenslücken zu füllen. Aber das war nicht Pauls Ding. Er musste ein Gefühl für Dürers Privatleben, seine Welt, seine Freunde und seine Geheimnisse entwickeln. Dieses Gefühl konnte unmöglich in der kalten Datenwelt eines Computers entstehen.
Also nahm Paul eines seiner Bücher aus dem Regal. Vor etlichen Jahren hatte er sich für ein kleines Vermögen, wie ihm heute schien, mehrere großformatige Bildbände über Dürer gekauft, um mehr über seine Perfektion in der bildhaften Analyse der menschlichen Anatomie zu erfahren.
Beim Blättern dachte er an die Dürerhaus-Eröffnung und daran, wie er seinen Kontostand durch seine Fotoaufnahmen bei dieser Gelegenheit aufbessern könnte. Er legte das Buch wieder beiseite, ging zum Fenster, durch das er einen unverbauten Blick auf die Kaiserburg genoss, und öffnete es. Er sog die frische Winterluft tief in seine Lungen und jonglierte beschwingt mit Zahlen. Zum ersten Mal seit den bedrückenden Erlebnissen aus Densdorfs Todesnacht spürte er nicht mehr dieses bleierne Gewicht auf seiner Seele lasten.
Doch kaum hatte er sich wieder auf sein Sofa gesetzt, wurde ihm klar, wie irrig seine gedanklichen Zahlenspiele waren. Er hatte weder seine laufenden Kosten berücksichtigt noch seine Schulden, geschweige denn die Zinsen, die er monatlich zahlen musste.
Paul schüttelte die unschönen Gedanken ab und nahm das Dürer-Buch erneut zur Hand. Er wollte gründlich vorgehen und entschloss sich deshalb zu einem kompletten Neustart. Er begann folgerichtig mit den Basisinformationen: »Dürer, Albrecht, Maler, Zeichner, Stecher, Reißer, geboren am 21. Mai 1471 in Nürnberg, gestorben am 6. April 1528 in Nürnberg, heiratete am 7. Juli 1494 Agnes Frey. Mit Dürer stellt Nürnberg einen der berühmtesten Künstler der Welt, der einer Epoche, der Dürerzeit, seinen Namen gab«, las er in dem kiloschweren Band.
Nürnberg als Geburtsort Dürers war kein Zufall. Sein Vater Albrecht, ein begnadeter Goldschmied aus Ungarn, hatte sich 1455 an der Pegnitz niedergelassen, weil er sich in der blühenden Handelsstadt ein gutes Geschäft erhoffte. Die Reichsstadt zu dieser Zeit – dagegen nahm sich München wie ein Kuhdorf aus! Der alte Dürer behielt Recht, machte den großen Reibach, ehelichte Barbara, Tochter seines
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