Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
dem Andenken an eine Legende, sondern – wenn sie Erfolg hatte – auch einem der wichtigsten Publikumsmagneten Nürnbergs. Das konnte Densdorf nie und nimmer recht gewesen sein!
Paul fühlte erneut ein nervöses Kribbeln und empfand es auch dieses Mal nicht als unangenehm. Im Gegenteil: Endlich meinte er in die richtige Richtung zu denken. Mit einem Mal ergab vieles einen Sinn. Selbst die Faser- und Haarspuren, von denen Katinka gesprochen hatte. Denn wäre es nicht möglich, dass …
Er bremste sich selbst in seinen Gedanken, die sich in seiner Euphorie zu überschlagen drohten. Also gut, mahnte er sich zur Ruhe, wenn du Klarheit haben willst, musst du persönlich mit ihr reden.
12
Über die Bundesstraße 4 hätte Paul normalerweise eine knappe halbe Stunde bis nach Erlangen benötigt. Wegen der winterlichen Straßenverhältnisse saß er allerdings fast eine Stunde in seinem Renault, bevor er die tief verschneite Stadt erreichte. Er kannte sich in Erlangen nicht besonders gut aus. Die Bismarckstraße mit den Gebäuden der Geisteswissenschaften erreichte er nur unter Zuhilfenahme eines Stadtplans. Obwohl wegen des Wetters nur wenige Leute mit ihren Autos unterwegs waren, brauchte Paul eine halbe Ewigkeit, bis er endlich einen Parkplatz gefunden hatte.
Dann wurde es für ihn noch einmal schwierig, sich zwischen Anglisten, Romanisten, Germanisten und Philosophen durchzufragen. Schließlich erreichte er unweit des Audimax sein Ziel: eine Cafeteria, in der sich Paul mit Dr. Karczenko verabredet hatte.
Er hatte sich zunächst selbst darüber gewundert, wie schnell die Karczenko am Telefon eingewilligt hatte, sich mit ihm zu treffen. Doch nun war er da, und die Kunsthistorikerin kam ihm, kaum dass er die Cafeteria betreten hatte, mit ausladenden Schritten entgegen. Sie war kleiner, als er erwartet hatte, und ihre Züge waren deutlich weniger verhärmt als auf dem Zeitungsfoto. Ihr Gesicht strahlte sogar große Offenheit aus, während ihre Augen ihn neugierig und intensiv begutachteten.
Sie setzten sich an einen Tisch etwas abseits der Grüppchen von Studenten und vereinzelten Dozenten.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie frei heraus.
Paul musste sich selbst eingestehen, dass er sie sich weit unsympathischer vorgestellt hatte und nun sogar fast enttäuscht war, auf einen ganz offensichtlich aufgeschlossenen und kooperativen Menschen zu stoßen. Weil er nicht gleich antwortete, sagte die Karczenko: »Sie sind einer der – zugegebenermaßen – unzähligen Dürer-Fans, die mich zur Rede stellen wollen, habe ich Recht? Aber ich muss Sie in Ihren Erwartungen korrigieren: Ich kneife nicht vor der Konfrontation. Schießen Sie also los und beweisen mir das Gegenteil meiner Theorien.«
Paul schätzte sein Gegenüber auf Mitte fünfzig. Im Geiste glich er sie mit dem Phantom auf den Bildern ab, die er am Christkindlesmarkt und an der Fleischbrücke gemacht hatte. Figur und Haltung stimmten überein. Für ihr Alter war die Historikerin gut in Form. Fit und beinahe athletisch. Paul traute ihr zu, Densdorf in die Pegnitz gestoßen zu haben. Zumindest körperlich wäre sie dazu in der Lage gewesen. Aber ihre herzliche Art irritierte ihn.
»Ich merke schon, dass Sie nicht beginnen möchten«, redete sie weiter. »Dann lassen Sie mich Ihnen die Grundzüge meiner Arbeit erläutern. Ich vertrete die Theorie, dass sich jedes Bild mit moderner Technik zu fünfundneunzig Prozent seinem wahren Schöpfer zuordnen lässt. Legt man diese Theorie zu Grunde, war Dürer zwar ein großer Mann – ein großer Geschäftsmann«, sie setzte ein Lächeln auf, das auf Paul selbstsicher, jedoch einstudiert wirkte, »nur das Malen hat er zu großen Teilen anderen überlassen.«
»Jeder ernsthafte Dürer-Kenner würde Ihnen hier und jetzt das Gegenteil beweisen«, entgegnete Paul schärfer als vorgesehen. »Ihnen geht es gar nicht um Dürer, sondern um Ihr eigenes Fortkommen.«
Die Karczenko lächelte – das Gespräch schien ihr echte Freude zu bereiten. »Ich habe einen kleinen Trost für alle so genannten Sachverständigen: Denken Sie an Picasso, der ja alle seine eigenen Werke verlässlich erkannt haben soll. Eines hat er – das ist verbürgt – in einem Museum als Fälschung entlarvt. Ein Irrtum, wie sich später herausstellte. Doch erst Fotos, die ihn beim Malen des angeblichen Abklatsches zeigten, überzeugten ihn von seiner Urheberschaft. – Bei Dürer verhält es sich leider genau umgekehrt.«
Paul pochte auf die
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