Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
denn einer bestimmten Person zuordnen?«, fieberte Paul dem Ergebnis entgegen.
»Nein, dazu bräuchten wir ja eine positive Gegenprobe desjenigen, der das Keratin an den beiden Toten hinterlassen hat. In der üblichen Kartei liegt allerdings nichts vor.«
»Wir haben es demnach nicht mit einem alten Kunden zu tun?«
»Oder einer alten Kundin – nein, Paul, leider nicht. Denn das würde die Sache für uns alle wesentlich einfacher machen.«
Der Weg zurück nach Hause fiel Paul schwer. Es war nicht mehr direkt Angst, die er verspürte, vielmehr hatte er das Vertrauen in die Sicherheit seiner eigenen vier Wände verloren. Von der Geborgenheit, die er zu Hause stets empfunden hatte, war nach den beiden Einbrüchen ebenso wenig übrig geblieben wie ein letzter Rest von so etwas wie einer Intimsphäre.
Als Erstes musste er jetzt prüfen, ob mit den Bildern von Densdorfs Todestag alles in Ordnung war – denn Katinka hatte ihn mit ihren Vermutungen ziemlich verunsichert. Paul atmete erleichtert auf, als er die Tasche mit seiner Fotoausrüstung aus der unscheinbaren Truhe unter der Garderobe hervorzog. Die Tasche war unberührt geblieben, seitdem er die Negativstreifen und Abzüge vom Christkindlesmarkt und der Liebesinsel hineingesteckt hatte. Bei diesem Gedanken durchfuhr ihn plötzlich ein neuer Schreck. Vielleicht war der Dieb tatsächlich kurz davor gewesen, das zu finden, was er bei seinen Einbrüchen gesucht hatte.
Paul hatte eine böse Ahnung. Er spurtete durch seine Wohnung und drückte die Schiebetür am Ende des großen Raums grob beiseite. Die schwarz gekachelte Dunkelkammer lag wie im Schlummer leer und ruhig vor ihm. Er knipste alle drei Rotlichter an, die den schmalen Raum notdürftig beleuchteten. Ein Blick auf die Anrichte neben dem Vergrößerungsapparat reichte aus, um seine Vermutung bestätigt zu sehen. Sämtliche Filme, die er in den Tagen und Wochen zuvor belichtet hatte, waren verschwunden. Nicht einmal eine leere Filmpatrone hatte der Einbrecher zurückgelassen.
Er eilte zurück zu der kleinen Truhe, nahm seine Fototasche heraus und schaute nachdenklich auf die Filme vom Christkindlesmarkt, die wohlbehalten in seinen Händen ruhten. Sie waren dem Dieb durch die Lappen gegangen. Doch es war Zufall gewesen, dass sie in der Fototasche gelagert hatten. Hätte Paul sie nicht dort deponiert, um sie zur Polizei zu bringen, wären sie jetzt verloren.
Kaum erholt von dem Schreck, setzte er halbherzig seine Bemühungen fort aufzuräumen. Was nicht er selbst schon im alltäglichen Trott in Unordnung gebrachte hatte, hatte der Einbrecher besorgt.
Paul las die losen Blätter eines Aktenordners auf, den der Einbrecher offensichtlich aus reiner Zerstörungswut durch die Gegend gepfeffert hatte. Es waren größtenteils Zeitungsartikel. Er wunderte sich über sich selbst, dass er so viele Texte ausgeschnitten und aufbewahrt hatte, ohne jemals wieder einen Blick hineingeworfen zu haben.
Bei seinen Aufräumarbeiten ging Paul nicht besonders planvoll vor, und das meiste sortierte er gleich aus, um es ins Altpapier zu werfen. Doch einer der längst vergessenen Artikel ließ ihn verharren: Der Text handelte ein Mal mehr von Dr. Evelyn Karczenko, der streitbaren Kunstexpertin aus Erlangen, und von ihrem Steckenpferd, der systematischen Fehlersuche im Gesamtwerk Albrecht Dürers. Paul sah sich das abgedruckte Porträtfoto der Frau an: stufig geschnittenes braunes Haar, spitze Nase, spitzes Kinn, eine schmale, kantige Designerbrille über zwei kleinen, entschieden blickenden Augen. Ihm war diese Frau unsympathisch. Er legte den Artikel auf seinen Schreibtisch zu dem anderen, den er neulich ausgeschnitten hatte, und wandte sich der nächsten Ecke des Zimmers zu.
Paul sammelte weiterhin wahllos verstreute Fotos, aber auch lange vermisste Auftragskopien und etliche weitere Zeitungsausrisse ein. Als er auf einen weiteren Artikel der Karczenko stieß, eine kritische Analyse von Dürers Landauer Altar, war das für Paul der sinnbildliche Wink mit den Zaunpfahl. Erstmals meinte er eine Ahnung zu haben, die ihm im Fall Densdorf weiterbringen könnte. Mit neu erwachender Energie las er die Artikel über Dr. Evelyn Karczenko, und schnell wurde ihm klar: Der Karczenko ging es einzig darum, Dürers Ansehen zu schaden und ihrem eigenen dadurch Geltung zu verschaffen.
Nach allem, was Paul über Densdorf wusste, musste die Karczenko zu seinen Erzfeindinnen gezählt haben. Denn sie schadete mit ihren Angriffen nicht nur
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