Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Tischplatte. »Wie wollen Sie einen solchen Vorwurf untermauern, wenn der Maler seit Ewigkeiten tot ist?«
»Oh«, sagte die Historikerin kokett, »das spielt für uns keine Rolle. Wir verlassen uns auf den Sachverstand unserer Rechner. Unsere Software analysiert Gemälde mit übermenschlicher Akkuratesse und erkennt persönlichen Stil sicherer als jeder Experte. Wir richten uns einzig und allein nach der Mathematik des Pinselstrichs.«
Paul bewunderte den selbstsicheren Auftritt der Kunstexpertin, wollte von seinem Verdacht jedoch nicht so schnell ablassen. Das Ziel dieser Frau lag für ihn allzu offensichtlich auf der Hand: Sie wollte international Karriere machen. Ihr Ehrgeiz ließ sie in Kauf nehmen, dass es dabei Opfer gab.
»Ein Computer mit Kunstsachverstand?«, fragte Paul. »Und der wurde in Erlangen erfunden?«
»Nicht ganz«, antwortete sein Gegenüber schmunzelnd, »ich bin erst seit Kurzem an dieser Universität, um meinem Forschungsobjekt räumlich näher sein zu können. Meine Methode hatte ich bereits vorher entwickelt.«
»Aha«, sagte Paul unschlüssig darüber, wie er weiter vorgehen sollte. »Wie genau funktioniert denn Ihre Methode?«
»Meine Studenten – zumindest die besten unter ihnen – erkennen inzwischen mit bloßem Auge Stilmittel und Materialien verschiedenster Epochen und mit Röntgen- oder Infrarotlicht einzelne Farbschichten«, sagte sie. »Rasterelektronenmikroskope und Röntgendiffraktometer verraten ihnen sogar, ob für eine bestimmte Zeit typische Farben verwendet wurden. Für mich aber liegt das Geheimnis eines jeden Bildes ganz offen an der Oberfläche. Ich stamme aus einer Familie der Mathematiker. Ich erfasse die Bilder digital, genauer gesagt in neunhundert Bildpunkten pro Zentimeter – das ist genug, um ein einzelnes Pinselhaar zu verfolgen. Jeder der Bildpunkte enthält eine Information über Helligkeitsstufen und Mikrostrukturen des Pinselstrichs. Deren Verhältnis zu den Informationen der Nachbarwerte bringt eine Unzahl statistischer Vergleichswerte hervor.«
Die Selbstgefälligkeit der Karczenko machte Paul wütend. Nein, nicht ihre Arroganz an sich, sondern die Tatsache, dass sie sich gegen sein großes Vorbild richtete. »Wie kommen Sie darauf, sich aus ein paar Bildpunkten ein Urteil über Dürers kulturelles Vermächtnis bilden zu können?«
»Warum regen Sie sich auf? Perugino hat seine Madonna mit Kind auch nicht allein gemalt. Nach unserer Analyse haben mindestens drei weitere Künstler geholfen.«
Paul schüttelte langsam den Kopf. Woher nahm die Frau ihre Ignoranz der ganzen anderen etablierten Kunstwelt gegenüber?
Die Karczenko sprach weiter, als würde sie Pauls Zweifel ahnen: »Bleiben wir mal bei Pietro di Cristoforo Vannucci, alias Perugino: Der Computer hat die Malstile in seiner Madonna zu Punkten in der Grafik eines Würfels vereinfacht. Bei einigen Personen auf dem Bild liegen sie nahe beieinander. Also war es nur ein Künstler, der sie malte, wahrscheinlich Perugino. Anders war es bei den übrigen Personen, wo es erhebliche Abweichungen gibt.« Sie spreizte die Finger und wedelte mit ihnen in der Luft wie ein Magiker, während sie erklärte: »Der Computer übersetzt die Bildpunkte in ein mehrdimensionales Muster. Waren mehrere Künstler am Werk, liegen die Datenpunkte entfernt voneinander, bei einer Künstlerhand häufen sie sich dagegen auf engem Raum.«
»Bei Dürer gibt es keine Häufung?«, fragte Paul und hörte selbst, wie kleinlaut er klang.
Die Kunstexpertin zuckte mit den Schultern. »Bedaure, nein.«
Paul stand auf. Er blickte auf seine Gesprächpartnerin herab, doch die schaute nicht einmal auf. »In Nürnberg ist Ihnen niemand dankbar dafür, dass Sie Dürer in Misskredit bringen, ist Ihnen das bewusst? Sie schaden der Stadt und ihrem Ansehen«, und demontieren mein Idol, fügte er in Gedanken hinzu.
Die Karczenko behielt ihr überlegenes Lächeln bei. »Sicher. Ihr Fremdenverkehrschef war einer meiner erbittertsten Gegner.«
»Sie geben es also zu?«, fragte Paul verblüfft.
»Natürlich.« Auch sie stand jetzt auf. »Leider hat Herr Densdorf nie verstanden, dass ich weder ihm noch Dürer schaden will. – Längst sind Kunstfälscher auch zu Experten alter Maltechniken und herkömmlicher Analyseverfahren geworden. Wir können daher gar nicht anders als aufzurüsten, um noch besser zu werden im Auseinanderhalten zwischen Original und Fälschung.«
Paul versuchte, aus ihren kleinen Augen zu lesen. Doch ihre Gedanken
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