Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
dem ich den Prolog aufgesagt habe, den Mörder fotografiert.«
»So weit war ich auch schon«, murmelte Paul und musterte sich kritisch im Spiegel über dem Waschbecken.
Hannah klang sehr ernst und überzeugt, als sie sagte: »Ich glaube, dass der Mörder alle drei Toten auf dem Gewissen hat.«
»Den Schreiner, den Tourismusdirektor und den Stadtstreicher? Wie kommst du darauf?« Warum stellte Hannah diese Zusammenhänge her? »Und woher weißt du überhaupt von dem Toten in der Sebalduskirche?« Paul knöpfte sein Hemd auf und suchte nach dem Rasierschaum.
Hannah zog sich diskret aus dem Bad zurück. »Das mit diesem Ex-Kunststudenten habe ich heute früh in der Zeitung gelesen. Da hat es klick gemacht.«
»Klick?«, rief ihr Paul nach. Er schäumte sich ein und griff zum Rasiermesser.
»Ja. Der Schreiner arbeitet im Dürerhaus. Der Fremdenverkehrsoberfuzzi wirbt fürs Dürerhaus. Der Kunststudent studiert Dürer. Da macht es ganz einfach klick.«
Paul schnitt sich.
»Was«, fragte Hannah, als sie nach einer Weile zurück ins Badezimmer trat, »sind das für Augen?« Sie hielt ihm das herausgerissene Blatt aus dem Skizzenblock des toten Kunststudenten hin. »Sie kommen mir bekannt vor. Es sind Menschenaugen. Aber irgendwie sehen sie aus wie die eines Huskys.«
Hannah durfte zum späten Frühstück bleiben. Das erwies sich für Paul als ausgesprochen vorteilhaft, denn sie bereitete für sie beide köstliche Ham and Eggs zu. Sie hatte das, wie sie sagte, während eines Schüleraustauschs in den USA gelernt, und es schmeckte tatsächlich amerikanisch, obwohl die Eier von freilaufenden fränkischen Hühnern stammten und der Schinken vom Metzger um die Ecke.
»Was werden Sie als Nächstes unternehmen?«, erkundigte sich Hannah, während sie sich zum dritten Mal den Teller füllte.
»Ich meine«, ergänzte sie mit vollem Mund, »haben Sie einen Plan, wie man den Täter erwischen könnte?«
»›Erwischen‹ ist wohl kaum das treffende Wort«, schmunzelte Paul und goss sich eine zweite Tasse Kaffee ein. »Aber: Ja, ich habe einen Plan, zumindest ist es so etwas Ähnliches wie ein Plan: Ich spreche mit allen, die mit der Sache in Zusammenhang stehen.«
»Sind das nicht ziemlich viele?«, fragte das Mädchen.
Paul wiegte den Kopf. »Na ja, ich komme ganz gut voran.«
»Und wen haben Sie sich für heute noch alles vorgenommen?«
»Die Frau des Bürgermeisters«, flüsterte Paul und führte seinen Zeigefinger geheimnistuerisch vor den Mund. »Aber pssst. Verrat’s niemandem weiter.«
»Das ist ein guter Witz!«, lachte Hannah. »Schön, dass Sie Ihren Humor trotz des ganzen Ärgers nicht verloren haben.«
Paul machte keine Anstalten, den Wahrheitsgehalt seiner Antwort zu unterstreichen.
Gestärkt von Hannahs deftigem Frühstück setzte er sich wenig später in seinen Renault und brach in Richtung Mögeldorf auf, dem Stadtteil, in dem die Frommholds wohnten.
Er hatte die richtige Straße schnell gefunden, und noch während er die Hausnummer suchte, traf er unverhofft auf sein Ziel. Ein rotes Mercedes-Sportcoupé stieß rückwärts aus einer Einfahrt und nahm Paul die Vorfahrt. Er konnte gerade noch bremsen und erkannte deutlich eine schwarzhaarige Frau mit Pagenschnitt und energisch leuchtenden Augen hinterm Steuer: Beate Frommhold!
Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu, als ob er es gewesen wäre, der sich nicht an die Vorfahrtregeln gehalten hätte. Er nickte ihr mit gespielter Freundlichkeit zu, setzte ein Stück zurück und ließ sie ausscheren.
Kaum hatte sich ihr Wagen zwanzig Meter entfernt, nahm Paul die Verfolgung auf. Mit dezentem Abstand heftete er sich der Frau des Bürgermeisters an die Fersen, was nicht einfach war: Beate Frommhold pflegte einen sportlichen Fahrstil – trotz der widrigen Wetterverhältnisse.
Der rote Flitzer verließ Mögeldorf mit hohem Tempo stadtauswärts. Zweimal konnte Paul nur mit Mühe aufschließen, um nicht durch rote Ampeln abgehängt zu werden. Ihrer Fahrweise nach zu urteilen, musste Beate Frommhold eine sehr temperamentvolle junge Frau sein. Paul konzentrierte sich darauf, den Mercedes im Sichtfeld zu behalten und sich gleichzeitig auf der glatten Fahrbahn nicht selbst in Gefahr zu bringen.
Sie hatten die Stadt gerade verlassen, als Beate Frommhold abermals das Tempo erhöhte. Paul musste sich fragen, ob sie ihren Verfolger inzwischen bemerkt hatte und nun versuchte ihn abzuhängen. Aber der Grund für die hohe Geschwindigkeit konnte ihm bald
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