Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
bewusst einkalkuliert hatte?
»Für mich bleibt Densdorf der Hauptschuldige«, sagte die Witwe bibbernd. »Auch wenn er inzwischen selbst tot ist, ändert das nichts an der Sache: Er hat meinen armen Mann diese Flöhe in den Kopf gesetzt und ihn angestiftet zu all dem Unsinn.«
»Flöhe?«, fragte Blohfeld.
»Ja, die Sache mit dem großen Geld, das er ihm versprochen hatte.«
Paul nahm wahr, wie Blohfeld unruhig von einem Fuß auf den anderen trat.
»Was genau war da vorgefallen?«, fragte der Reporter.
»Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Mein Mann war in geschäftlichen Dingen mir gegenüber immer sehr verschlossen. Aber die beiden haben sich kurz vor dem Tod meines Mannes getroffen und sind ganz dick essen gegangen. Mein Mann kam danach völlig euphorisch nach Hause. So ein Verhalten kannte ich gar nicht von ihm.«
Blohfelds Augen blitzten wissbegierig. »Wissen Sie zufällig, wie das Lokal hieß, in dem die beiden so üppig diniert haben?«
»Ja«, sagte die Witwe. »Das war im Goldenen Ritter. «
Blohfeld bedankte sich freundlich und ließ die vor Kälte schlotternde Frau ziehen. Als sie sich etwas von ihnen entfernt hatte, klopfte er Paul begeistert auf die Schultern. »Ich würde sagen: Bingo! Densdorf und der Schreinermeister hatten also irgendeine vielversprechende Sache am Laufen. Jetzt müssen wir nur noch im Goldenen Ritter nachfragen, ob jemand etwas von dem Gespräch der beiden mitbekommen hat. – Sie kennen nicht zufällig den Wirt des Lokals?«, fragte Blohfeld mit wissender Miene.
»Schon gut«, ging Paul darauf ein, denn schließlich war er genauso neugierig. »Jan-Patrick ist ein Nachbar und recht guter Bekannter von mir. Ich werde mal vorfühlen.«
»Sehr schön. Ich begleite Sie beim Vorfühlen. Auf geht’s!«, drängte Blohfeld zum Aufbruch.
»Moment«, Paul sah den Reporter herausfordernd an. »Ich habe hier noch etwas zu erledigen.« Er zog einen braunen Umschlag aus seiner Manteltasche. »Ich werde dieses Kuvert beim Pförtner abgeben.«
Blohfelds Mund öffnete sich, doch er blieb stumm.
»Diese Fotos haben mir nur Unglück gebracht«, rechtfertigte Paul seine Entscheidung.
Blohfeld fand seine Worte wieder. »Tun Sie nichts Unüberlegtes. Ihre Staatsanwältin wird die Negative unter Verschluss halten, und Sie haben rein gar nichts davon. Von mir dagegen dürfen Sie Bares erwarten – und das nicht zu knapp.«
Paul lächelte den Reporter offen an, wandte sich um und verschwand im Haupteingang des Gerichts. Als er zurückkam, stand der Reporter noch immer unbewegt an derselben Stelle. Dicke Schneeflocken lagen auf seinem Hut und seinen Schultern.
Auf dem Weg zurück zur U-Bahn erwähnte Blohfeld die Fotos vom Christkindlesmarkt mit keiner weiteren Silbe. Offenbar, dachte Paul, hatte er seine Entscheidung akzeptiert – wenn auch widerstrebend.
»Gibt es etwas Neues über unsere Zweitverdächtige?«, brach Paul das Schweigen.
Blohfeld antwortete zwar, doch ihm war anzuhören, dass er immer noch ein wenig beleidigt war: »Nun, bei der Erlanger Kunsthistorikerin hat sich tatsächlich etwas ergeben: Gegen Evelyn Karczenko laufen Ermittlungen in ihrer Heimat. Ihr Doktortitel als Kunsthistorikerin ist höchstwahrscheinlich erschwindelt. Durchaus möglich, dass Densdorf dahintergekommen war und versucht hatte, sie zu erpressen oder zumindest zum Schweigen zu bringen.«
»Das wäre ein Motiv«, stellte Paul fest.
Blohfeld sah ihn zweifelnd an. »Ein sehr weit hergeholtes.«
»Was ist mit der Auslandsreise, die Densdorf angeblich geplant hatte?«, fragte Paul weiter.
»Fehlanzeige«, sagte Blohfeld. »Darüber konnte ich rein gar nichts herausfinden.«
Den Goldenen Ritter erreichten sie kurze Zeit später. Die Eingangstür war zwar nicht verschlossen, aber schon die Tatsache, dass die Auslage noch nicht mit frischem Fisch gefüllt war und das Putzlicht brannte, verriet ihnen, dass eigentlich noch nicht geöffnet war.
Als ihnen die adrette Kellnerin entgegenkam, ergriff Paul das Wort: »Hallo, Marlen. Keine Sorge, wir sind keine verfrühten Mittagsgäste. Wir hätten nur gern ein Wort mit Jan-Patrick gewechselt.«
Marlens Gesichtszüge entspannten sich. »Ach, du bist es. Das ist etwas anderes. Setzt euch. Darf ich euch etwas anbieten?«
»Nein, danke«, erstickte Paul Blohfelds Anstalten im Keim, auf das freundliche Angebot einzugehen. Sie setzten sich an die Theke.
»Tja, es tut mir Leid, aber der Chef ist nicht da«, sagte Marlen achselzuckend. Sie sah auf die Uhr.
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