Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
letzte Mal besucht hatte. Der betagte Mann, ein Original auf dem Christkindlesmarkt, alterte beängstigend schnell. Man konnte den störrisch sympathischen Hansdampf hinter der zerknitterten Fassade seines Gesichts nur noch erahnen. Das unternehmungslustige Funkeln seiner Augen war nach zwei Schlaganfällen einem müden Flackern gewichen. Aber auf sein Fach verstand sich der alte Max immer noch wie kein Zweiter. »Oder aber man muss ordentlich einen über den Durst getrunken haben. Die Polizei hat schon so manches Mal Alkoholleichen aus der Pegnitz gefischt. Bei mir war der selige Densdorf ein guter Kunde – nur gezahlt hat er ungern.«
»Trotzdem hat er offenbar ausreichend Nachschub bekommen, oder?«
Max zuckte vielsagend mit den Schultern, als wollte er klagen: Wie sollte ein kleiner Marktbeschicker wie er ausgerechnet dem Touristik- und Marktamtschef einen Wunsch abschlagen? Immerhin war Densdorf Herr über die Entscheidung gewesen, welcher Wirt seinen Stand auf dem Christkindlesmarkt aufstellen durfte und welcher nicht.
Flemming lehnte sich auf den Tresen von Max’ Stand. Zu dieser Uhrzeit war auf dem Christkindlesmarkt nicht viel los. Die Busse der Amerikaner und Japaner trafen erst nach Mittag ein, und auch die Nürnberger zog es morgens kaum auf einen Glühwein oder die obligatorischen drei Bratwürste »im Weggla« auf den Markt. Dennoch stieg Paul bereits der Duft nach heißem Wein mit Koriander und allerlei anderen weihnachtlichen Zutaten in die Nase.
Max bezwang mühsam die zwei Stufen, die von seinem Stand hinunter aufs Kopfsteinpflaster führten. Er teilte einen scharlachroten Plastikvorhang und führte Paul in die schmale Versorgungsgasse hinter den Glühweinbuden. »Keine Ahnung«, sagte er, als er vor einem der unförmigen Fässer stand. »Keine Ahnung, wie viel er getrunken hat. Sein Durst auf Promillehaltiges war jedenfalls legendär.«
»Vornehm ausgedrückt«, sagte Paul und malte sich aus, wie der beleibte Densdorf einen Glühweinstand nach dem anderen heimsuchte, um seinen Tribut einzufordern.
»Achtzig Grad«, sagte Max und klopfte prüfend auf einen Thermostat, der an einem Strang Kupferrohre befestigt war, die auf verschlungenen Pfaden in das Fass führten, »die ideale Temperatur für einen guten Glühwein.«
Dann war Densdorf in der Stunde seines Todes zumindest von innerer Wärme erfüllt gewesen, dachte sich Paul und hob nachdenklich die Brauen. Das alles erschien ihm so furchtbar und gleichzeitig absurd. »Hatte er denn keinen Begleiter, der das Unglück hätte verhindern können?«
Er sah zu, wie sich Max die drei Stufen zum Deckel des Fasses hinaufquälte. Der alte Mann nahm eine abgenutzte Kelle aus seiner Schürze und tauchte sie in den Wein. Er führte die Kelle mit mühsam kontrollierter, zitternder Bewegung zum Mund. Paul beobachtete das Mienenspiel in dem zerfurchten Gesicht, sah, wie sich die blassen Lippen zufrieden hoben und die Falten um die Augen vergnüglich zu spielen begannen. Max verkostete das billige Gesöff wie den Spitzenjahrgang des Würzburger Bürgerspitals.
»Er hatte eigentlich immer einen Begleiter bei sich. Besser gesagt: eine Begleiterin. In den seltensten Fällen seine eigene Frau«, antwortete Max.
»Auch am Unglücksabend?«
»Mit Sicherheit. Er hat an dem Abend kurz an meinem Stand vorbeigeschaut. Densdorf hielt es nicht aus, sich in die Schlange einzureihen und zu warten. Durch den Prolog des Christkinds verzögert sich die Glühweinausgabe um mindestens eine Viertelstunde. Und dann drängeln die Touristen. Er hat sich also für besonders schlau gehalten und wollte seinen Becher selbst eintauchen.« Max schaute wichtig von seinem Treppchen hinunter.
»Ich habe ihn sozusagen auf frischer Tat ertappt. Da war er schon reichlich angetrunken.«
»Hast du bei dieser Gelegenheit auch seine Begleitung gesehen?«, wollte Flemming wissen.
»Nein«, sagte Max und stieg ab. »Das heißt: Da stand wohl jemand im Hintergrund. Aber – wie gesagt – das Licht war verdunkelt, und es war ja schon reiner Zufall, dass ich Densdorf überhaupt erwischt habe.«
Paul musterte nachdenklich das Fassungetüm, an das sich Max mit stolzer Besitzerpose lehnte. Ein aus gebogenen Holzplanken zusammengezimmertes, von drei rostzerfressenen Blechgürteln zusammengehaltenes Monstrum, das durch den immer wieder über den Rand geschwappten Glühwein im Laufe der Jahre die Farbe seines Inhalts angenommen hatte. Paul legte seine Hand auf das Holz. Der angetrocknete Rotwein
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