Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
klebte an seinen Fingern wie geronnenes Blut und er zog sie angewidert zurück.
Ja, dachte er: Ein Unfall hatte seinen Auftraggeber aus dem Leben gerissen. In die eiskalte Pegnitz zu stürzen, während Tausende in allernächster Nähe feierlich die Weihnachtszeit einläuteten, war so ziemlich die unschönste Todesart, die er sich ausmalen konnte. Ein sehr trivialer und ein sehr überflüssiger Unfall.
»Ein Glühwein mit Schuss wird dir jetzt gut tun«, sagte Max und beäugte seinen Besucher mit dem für ihn typischen flatternden Blick, dem allerdings nichts entging.
Paul kannte Max seit Jahrzehnten – und das Gleiche galt natürlich umgekehrt. Max hatte ihn bei seinen ersten ungelenken Gehversuchen als Fotograf unterstützt. Denn das war das Einzige, was Paul jemals ernsthaft interessiert hatte. So sehr, dass er die Schule sträflich schleifen lassen hatte. Mit einem Funken Wehmut erinnerte er sich an die Zeit, als er das erste Mal bei Max aufgekreuzt war, gerade völlig abgebrannt, noch ohne Ausbildung und geschweige denn einen Job. Max bot ihm an, sich ein bisschen Geld beim Glühweinausschenken zu verdienen. Geld, das er sogleich in irgendwelche Objektive für seine Kameraausrüstung gesteckt hatte.
Er fragte sich, was Max inzwischen noch alles über ihn wusste. War ihm zu Ohren gekommen, dass seine finanziellen Verhältnisse wieder einmal nicht zum Besten standen? Tatsächlich finanzierte er die Miete seiner Wohnung schon seit Monaten auf Pump. Und jetzt war ausgerechnet sein wichtigster Auftraggeber gestorben. Er fragte sich erneut, wie lange er das durchstehen konnte.
»Also, ein Glühwein?«, wollte Max wissen.
Paul lehnte Max’ Einladung dankend ab, bat ihn aber, von dem Fass einige Aufnahmen machen zu dürfen. Immerhin war das einer der letzten Orte, die Helmut Densdorf vor seinem Tod aufgesucht hatte. Er wusste selbst nicht genau, was er mit den Fotos anfangen wollte. Immer wenn er eine Sache nicht vollends begreifen, nicht fassen konnte, tendierte er dazu, die Kamera zur Hand zu nehmen. Fotos waren seine Absicherung. Die Kamera ein verlässlicher Halt im Leben. Vielleicht, ging es ihm durch den Kopf, fotografierte er genau aus demselben Grund Frauen. Er bannte sie aufs Negativ, weil er sie selbst nicht halten konnte.
Er fühlte eine leise Unruhe in sich aufsteigen, als er durch die verschneite Fachwerkidylle der Weißgerbergasse ging. Das Gespräch mit Max hatte ihm vor Augen geführt, dass er mehr als nur ein zufälliger Zeuge des tragischen Unglückfalls gewesen war. Paul hatte die letzten Minuten im Leben von Helmut Densdorf aus der Vogelperspektive verfolgt, ohne es zu bemerken. Gut möglich, dass Densdorf auf einem seiner Fotos von der Christkindlesmarkteröffnung abgebildet war. Das hätte zwar keine besondere Aussagekraft. Dennoch kribbelte es ihm jetzt in den Fingern, die Filme schnell zu entwickeln.
Sein Blick glitt über die Fassaden der windschiefen Häuser, die sich – blassblau, honiggelb und mintgrün getüncht – angenehm von der allgegenwärtigen Dominanz des roten Sandsteins abhoben. In einigen Fenstern blinkten bunt leuchtende Girlanden, die ihn an amerikanische Kitschfilme denken ließen.
Noch einmal um die Ecke gebogen, und schon war er in seinem Refugium, auf dem Weinmarkt. Er freute sich beim Anblick des Gemüsestandes, einem Farbklecks auf dem eisgrauen Straßenpflaster. Der Stand war gleich neben Peggy’s Frisiersalon aufgebaut, den er bislang nur vom Vorbeigehen kannte, wobei er Peggy als dralle Blondine identifiziert hatte.
Dann waren da noch zwei Antiquitätenhändler, Büros (Anwälte, eine ihm aus früheren Jahren wohlbekannte Architektin, ein Notar) und ein Reisebüro. Paul war kein besonders religiöser Mensch, aber auch wenn er es gewesen wäre, hätte er in seinem Quartier nicht lange nach geistlichem Beistand suchen müssen. Die mächtige Sebalduskirche, das Reich von Pfarrer Hannes Fink, stand am Eingang seines Reviers, und auf einen Wecker konnte er in seiner Dachwohnung in fünfzig Metern Luftlinie Entfernung zum Glockenturm zumindest sonntags auch verzichten.
»Orangen. Drei Stück. Die spanischen, bitte«, sagte er, nachdem er sich für einem kurzen Abstecher zum Gemüsestand entschieden hatte.
»Ich habe zufällig Ihre Lieblingssorte vorrätig.« Die zierliche Gemüsefrau zauberte einen Karton mit knallig orangen Früchten aus einem uneinsehbaren Winkel ihrer Auslagen.
»Lanzarote?«, fragte Paul beinahe ungläubig. Die Frau, von der Paul
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