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Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter

Titel: Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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seiner Nachbarn sich ein solches Luxusgefährt leisten konnte, als er ein leises Surren aus Richtung des Wagens vernahm: Auf der Fahrerseite des Mercedes wurde ein Fenster heruntergelassen. Paul trat näher, da ihn der Fahrer überraschenderweise zu sich heranwinkte, wohl, um sich nach einer Straße zu erkundigen.
    Erst als er unmittelbar neben der Limousine stand und sich zu dem Fahrer hinabbeugte, erkannte er den Mann in dunkler Chauffeursgarderobe und weißen Handschuhen: Es war der Fahrer vom alten Wiesinger.
    »Grüß Gott«, sagte der Chauffeur und fabrizierte im Gegensatz zu ihrer ersten Begegnung auf der Wiesinger-Terrasse ein Lächeln. »Schönberger ist mein Name. Sind Sie Herr Flemming?«
    Paul erwiderte das Lächeln und taxierte den Mann neugierig. Was konnte der Fahrer des Ermordeten von ihm wollen? Schönbergers schlohweißes Haar lugte unter seiner blauen Chauffeurskappe mit schwarz glänzender Krempe hervor. Sein faltiges Gesicht wurde vor allem durch die wachen, großen Augen geprägt, die Schalk hinter der seriösen Fassade vermuten ließen. Dann waren da noch sein großer Mund mit vollen, blassen Lippen und die ebenfalls großen, abstehenden Ohren. Alles in allem nicht die Attraktivität in Person, dennoch machte Schönberger auf Paul einen sympathischen Eindruck: ein Mann mit dem Herzen am richtigen Fleck.
    »Ja, ich bin Paul Flemming«, sagte Paul schließlich und reichte dem Chauffeur die Hand. »Wir sind uns in der Wiesinger-Villa begegnet. Vielleicht haben Sie mich an diesem schlimmen Tag nicht wahrgenommen.«
    »Doch, doch«, beeilte sich Schönberger zu versichern, »ich war mir nur nicht mehr ganz sicher. Entschuldigen Sie bitte.«
    »Schon gut«, sagte Paul, der die Anspannung des betagten Fahrers nach dem Tod seines langjährigen Auftraggebers nur allzu gut verstehen konnte. »Was möchten Sie von mir?«
    »Ich möchte Sie abholen«, sagte Schönberger. Im selben Moment öffnete er die Fahrertür und stieg aus. Schönberger trat an die hintere Tür, zog sie auf und nahm eine steife Haltung an. Schönberger nickte in Richtung Fahrzeuginnenraum.
    »Herr Wiesinger junior erwartet Sie.«
    Paul sollte sich zu einem potenziellen Mörder chauffieren lassen? »Was möchte Herr Wiesinger von mir?«
    Schönberger verzog verwundert das Gesicht. »Herr Wiesinger möchte nichts von Ihnen, sondern Sie von ihm.«
    »Bitte?«, fragte Paul.
    Der Fahrer schaute Paul nachsichtig, aber keinesfalls herablassend an. »Sie haben sich bei Herrn Wiesinger für ein Fotoprojekt beworben. Herr Wiesinger wünscht nun, dass Sie mit Ihrer Arbeit beginnen.«
    Paul versuchte, sich über zwei Dinge klar zu werden. Nämlich erstens, dass er Wiesinger nach der Entdeckung der verräterischen Benzinstandanzeige auf dem Foto für dringend tatverdächtig halten musste, seinen Vater ermordet zu haben. Und zweitens, dass sich derselbe Wiesinger offenbar seelenruhig mit seinem neuen Imagekatalog befasste. Passte ein solches Verhalten zu einem Mörder?
    »Also gut«, sagte Paul und wollte einsteigen.
    Schönberger tippte ihn jedoch dezent an die Schulter.
    »Benötigen Sie nicht Ihre Fotoausrüstung?«
    »Nicht beim ersten Mal«, sagte Paul und ließ sich in den exquisit gepolsterten Fond fallen. »Ich muss mir erst einmal ein Bild von der Fabrik machen, bevor ich mit dem Fotografieren beginne.«
    »Wie Sie wünschen«, sagte Schönberger und schloss die Tür mit sanftem Druck.
    Die Fahrt in den Stadtteil Moorenbrunn, wo sich die Fabrik der Wiesingers befand, nahm Paul wie im Kino wahr: Die Stadt zog nahezu geräusch- und erschütterungslos an ihm vorbei. Er lehnte sich entspannt zurück, lauschte gedämpfter klassischer Musik und genoss die angenehm klimatisierte Luft.
    »Seit wann genau fahren Sie für die Wiesingers?«, begann Paul eine nach Möglichkeit unverfängliche Konversation.
    »Ich bin am 1. Juli 1971 in die Dienste der Wiesingers getreten«, kam die Antwort prompt zurück.
    »Dann kennen Sie die Familie ja sehr genau«, folgerte Paul. »Andi Wiesinger haben Sie wahrscheinlich schon in den Kindergarten gefahren.«
    »Nicht ganz«, korrigierte ihn Schönberger. »Aber in die Schule.«
    »Ist er wirklich so wie sein Ruf?«, wurde Paul allmählich forscher.
    »Wie meinen?«, fragte Schönberger, wobei man seinem aufgesetzt distinguierten Ton anmerken konnte, dass er genau verstanden hatte.
    »Nun ja. Man sagt, er sei ein Dandy.«
    »Herrn Wiesingers Verhalten mir gegenüber war und ist stets korrekt«, antwortete der

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