Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Geschichten meinen Ruf als Fotograf verderben.«
»Ach was«, Jan-Patrick schlug sich auf die Schenkel, »bei deinem Aussehen hast du doch jeden Tag die freie Wahl!«
»Bei meinem Aussehen?«, fragte Paul amüsiert.
Der Koch nickte heftig. »Sportliche Figur, markantes Gesicht mit gutmütigen braunen Teddybäraugen, dichtes dunkles Haar – da findest du ruckzuck etwas kleines Wendiges fürs Bett …«
»Dunkles Haar mit grauen Strähnen an den Schläfen«, verbesserte ihn Paul und erklärte: »Weißt du, ich bin fast vierzig, und ich habe diesen albernen Wettbewerb um die Schönsten und Jüngsten schlichtweg satt. Außerdem will ich nicht jeden Freitag und Samstag in die Disco und am Sonntag dann zum Bungee-Jumping, nur um mit meinen jugendlichen Nebenbuhlern mithalten zu können. Vielleicht bin ich für so etwas auch einfach zu bequem geworden.«
»Du und bequem?« Der Küchenmeister blickte seinen Freund über seine kräftige Nase hinweg bewundernd an.
»Aber du siehst nun mal aus wie ein Playboy. Vielleicht solltest du einfach dazu stehen.«
Paul kratzte sich nachdenklich im Nacken. »Playboy? In diesem Begriff schwingt heutzutage etwas von angegammelten Bars mit, in denen die Verschlüsse der Scotchflaschen verkrustet sind.«
Jan-Patrick stemmte die Arme in die Hüften. »Jetzt hör aber auf mit der Tiefstapelei. Bei dir assoziiere ich mit dem Wort Playboy etwas ganz anderes: Geist, Gewitztheit, Ausstrahlung und eine belebende Prise Übermut.«
Paul setzte sich auf. »Damit kann ich aber nichts anfangen. Du weißt doch, dass ich mich nach einer ehrlichen Beziehung zu einer wirklich erwachsenen Frau sehne. Aber leider bin ich in den Augen der meisten Menschen offenbar der Typ für eine unverbindliche Affäre. Mein Image scheint ziemlich viele Mackerklischees zu erfüllen. Ich glaube, genau darin liegt mein Problem.«
Der Koch druckste einige Momente herum. Dann sagte er:
»Dann verstehe ich dich erst recht nicht. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass du Katinka Blohm mehr als nur Sympathie entgegenbringst. Das Gleiche gilt umgekehrt. Warum löst du dein Problem nicht einfach dadurch, dass du mal ganz offen mit ihr darüber sprichst?«
»Was geht dich das eigentlich an?«, fragte Paul leicht irritiert.
»Als dein langjähriger Gastwirt, Nachbar und Freund eine ganze Menge! Warum macht ihr beiden nicht endlich Nägel mit Köpfen, anstatt immer eure alte Schulfreundschaft vorzuschieben? So wie ich es sehe, bist du auf dem besten Wege, Katinka Blohm in die Arme irgendeines dahergelaufenen Wichtigtuers wie Gernot Basse zu treiben.«
Paul blieb die Spucke weg. Basse, der neue Redaktionsleiter der Boulevardzeitung, Blohfelds Chef, was hatte der denn mit Katinka zu schaffen?
»Ich meine«, sagte Paul schließlich bemüht, »dass Katinka und ich und wohl auch Basse alt genug sind, um für uns selbst zu denken.« Dann wollte er aber doch wissen: »Woher kennst du den Neuen?«
Jetzt war es an Jan-Patrick zu lächeln. »Er will über meine Bratwurstwochen berichten. Das spricht dafür, dass endlich ein kultivierter Mann auf dem Chefsessel der Zeitung gelandet ist.«
»Hat Basse dir gegenüber Katinka erwähnt?«
Der Koch schaute ausweichend zur Seite. »Basse hat sich bei mir nach einem Tisch erkundigt. Ein möglichst romantisches Eckchen, wie er ausdrücklich betonte. Dabei deutete er an, dass er vorhabe, eine gewisse Staatsanwältin zum Essen auszuführen.«
»Soso.« Paul bemühte sich um einen ironischen Ton. »Romantische Ecke …« Dann fasste er sich wieder und fragte, ob Basse, der ja sehr freimütig mit seinen Informationen zu sein schien, auch etwas über Blohfelds Zukunft durchblicken hatte lassen.
Jan-Patrick zögerte nur kurz. »Er hat ein großes Mitteilungsbedürfnis, da hast du Recht. Er hat anklingen lassen, dass er nicht viel von der Haudraufmentalität eines Victor Blohfeld hält. Er nennt Blohfelds Stil den Boulevard der siebziger Jahre. Basse selbst sieht sich mehr als Mann des investigativen Journalismus.«
Paul lachte befreit auf. »Unter investigativem Journalismus verstehe ich etwas anderes, als über Bratwurstrezepte zu schreiben.«
17
Nach einer kurzen Nacht in der überhitzten Atelierwohnung begann der Samstag alles andere als ruhig: Das Telefon klingelte. Paul schälte sich aus seinem Laken, das er zum Schutz vor einer aufdringlichen Mücke eng um sich geschlungen hatte, und tastete nach dem Hörer. Gleichzeitig schielte er auf den Radiowecker. Es war kurz nach sieben Uhr,
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