Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
recht abgenutzter Figuren frei: den Mann mit den blauen Hosen, eine Frau mit weitem Rock und Prinzessinnenkrone, einen weißhaarigen Greis, einen Mann mit aufgedrucktem Stoppelbart, der ein wenig so aussah wie ein Verbrecher, eine Figur im Anzug und mit Koffer in der Hand, ein Mädchen mit Zöpfen und einen Hund mit nur noch drei Beinen.
Bis auf den Hund nahm er alle Figuren mit zu seinem Platz. Nachdenklich stellte er das Playmobilgrüppchen auf dem Tisch neben sich auf. Er schob die Männchen eine Weile hin und her – dann hatte er gefunden, was er brauchte.
Er nahm den weißhaarigen Opa, legte ihn zwischen die anderen Figuren und rekapitulierte:
Würstchenfabrikant Hans-Paul Wiesinger – der Playmobilopa – wird ermordet in seinem Arbeitszimmer aufgefunden. Die Terrassentür ist zerbrochen, aber es gibt keine verwertbaren Spuren. Junior Andi Wiesinger und Gattin Doro treffen verspätet aus München ein, wo sie angeblich die ganze Nacht über gewesen sind. Doch die Benzinstandanzeige in ihrem Porsche lässt Zweifel daran aufkommen.
Jetzt stellte Paul den Playmobilmann mit den blauen Hosen – Wiesinger junior – und die Prinzessin – Doro Wiesinger – dazu und mit etwas Abstand den Stoppelbärtigen, der für ihn Blohfeld symbolisierte.
Paul und Blohfeld machen also zwei Spuren aus. Die eine führt in Richtung des Fränkischen Heimatbundes, dessen Geschäftsführer Jungkuntz in einem ungewöhnlich modernen und noblen Ambiente residiert.
Paul stellte nun den Mann im Anzug dazu.
Die andere Spur führt direkt in die Fabrikhallen, in denen womöglich nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Ein gefeuerter Mitarbeiter, der vielleicht mehr wissen könnte, verschwindet urplötzlich, und seine Frau belässt es bei vagen Andeutungen. Allein für den Mitarbeiter hatte Paul im Moment keine Figur übrig.
So viel zu Fall eins. Nun nahm Paul die Figur des Mädchens in die Hand und platzierte sie in Blohfelds Nähe, aber abseits der Wiesinger-Familie.
Paul lernt die Französin Antoinette kennen. Sie fängt bei Blohfeld als Praktikantin an, hilft ihm bei den Wiesinger-Recherchen und wird ermordet auf der Wöhrder Wiese aufgefunden. Ein Halstuch am Tatort deutet auf Blohfeld hin, der seitdem ebenfalls verschwunden ist.
Parallel zu alldem widerfährt Paul selbst eine Reihe von Dingen, die in einem Zusammenhang mit einem der beiden Fälle stehen könnten, aber nicht zwingend müssen: Vor seinem Haus wird das Auto von Katinka demoliert, wenig später Pauls Fahrrad. Er bekommt Drohanrufe.
»Noch einen Milchkaffee?«
»Bitte?« Paul wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die Kellnerin neben ihm auftauchte und amüsiert auf die Playmobilfiguren schaute. »Ja, gern. Aber einen kleinen diesmal.«
»Kommt sofort. – Die dürfen Sie übrigens behalten, wenn Sie mögen.«
»Was?«
»Die Figuren. Die liegen schon so lange hier. Wird niemand mehr vermissen.« Sie zog sich mit einem Lächeln zurück.
Paul überlegte kurz und schob das Plastikmädchen wie eine Schachfigur neben den Opa: Es gibt also zwei Morde, die durchaus miteinander zu tun haben könnten.
Kurze Zeit später nahm Paul den zweiten Milchkaffee entgegen und nippte am Schaum.
Ein Zusammenhang zwischen den beiden Todesfällen – je länger er darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien er ihm. Ein Sexualdelikt, noch dazu ausgeführt von Blohfeld, lag zwar im Bereich des Möglichen, aber allein der Hinweis darauf, dass auch Antoinette mit dem Fall Wiesinger befasst gewesen sein soll, stimmte ihn misstrauisch.
Wie war das mit den Wiesingers?, fragte sich Paul zum wiederholten Male und sah sich den Mann mit den blauen Hosen und die Prinzessin an. Könnte Antoinette etwas in Erfahrung gebracht haben, das wiederum sie selbst in Gefahr gebracht hatte? Womöglich wirklich etwas über minderwertige Wurstzutaten?
Oder musste er ganz woanders suchen? In der Familie der Wiesingers selbst? Hatte Antoinette vielleicht in den komplizierten Verflechtungen des Wiesinger-Clans einen dunklen Punkt gefunden?
Denk nach, zwang sich Paul. Was wusste er über die Wiesingers, einmal abgesehen von den allgemein bekannten Klatsch- und Tratschgeschichten?
Er schlürfte seinen Kaffee und sah sich die ramponierte Prinzessin näher an. Als Erstes wollte er sich mit Doro Wiesinger befassen. Er drehte die Figur und betrachtete das aufwendig bedruckte Kleid. Doro war nicht nur wegen ihrer Herkunft und ihres Temperaments der bunte Hund in der Familie. Sie hatte nach Pauls
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