Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
spannend: Was kochst du heute Feines?«, fragte Paul höflich und knetete den Brief in seinen Händen.
»Bratwurstpastete«, sagte Jan-Patrick ganz ohne Pathos und legte sogleich wieder los: Er griff mit beiden Händen in die Edelstahlschüssel und verteilte das Gehäck beherzt auf dem Backblech. Dann drehte er sich zu einer antiquiert anmutenden Waage mit Silbergewichten um und wog eine Handvoll Schalotten ab, die er sogleich würfelte.
»Weißt du«, sagte der Koch selbstvergessen, als er die Schalotten in eine Pfanne gab und mit etwas Öl andünstete, »bis vor ein paar Tagen hatte ich geglaubt, alles über die Nürnberger Rostbratwurst zu wissen. Von wegen – seit ich mich wirklich intensiv mit ihr befasse, erlebe ich immer neue Überraschungen.«
»Zum Beispiel?«, fragte Paul.
Jan-Patrick gab die glasig gedünsteten Zwiebeln zusammen mit den würzig duftenden Kräutern auf das Gehäck. Dann nahm er ein gut poliertes Fleischmesser und zerschnitt eine Lage gekochten Schinken mit präzisen Bewegungen in breite Streifen. »Wusstest du zum Beispiel, warum unsere Bratwurst so schmeckt, wie sie schmeckt? So ganz anders als all die Nullachtfünfzehn-Würste aus dem Rest der Republik?«
»Darüber habe ich mir schon oft Gedanken gemacht«, sagte Paul interessiert.
Nachdem sein Freund den Schinken auf der Pastete ausgelegt hatte, häutete er ein halbes Dutzend Tomaten und schnitt sie – ebenso wie eine Handvoll eingelegte Gurken – in Scheiben. Jan-Patrick arbeitete so schnell, dass es Paul kaum glauben konnte. »Nürnberg war ja dank des heiligen Sebaldus eine der wichtigsten Pilger- und später auch Handelsstädte überhaupt. Hier trafen die Warenströme aus der ganzen damals bekannten Welt zusammen. Schon um 1500 gelangten die Gewürze des Orients hierher: Pfeffer, Muskat, Koriander, Ingwer, Thymian – das waren alles neue Geschmacksgeber. Die Metzger haben munter drauflos experimentiert. Eine von diesen faszinierenden neuen Zutaten hatte es den Nürnbergern besonders angetan.«
»Ich ahne schon, um welche es sich handelt«, sagte Paul lächelnd.
Jan-Patrick verteilte Tomaten- und Gurkenscheiben locker über dem Gehäck und schloss sein Werk mit einer weiteren dünnen Decke aus Blätterteig ab. »Am Hauptmarkt tauchte die neue Gattung der Lippenblütler erstmals auf: Majoran. Bald wuchs er in fast allen Vorgärten. Unser Wurstkraut! Den letzten Geschmackskick verschafften meine Vorgänger der Wurst durch das Brennmaterial. Sie haben Edel- und Nadelhölzer verfeuert, Wacholder, Tannenreisig, Kiefernzapfen, ja sogar Erlen- und Buchenholz. Dann war sie endlich so, wie sie sein sollte: einzigartig saftig, unübertrefflich knackig, vollkommen im Geschmack.« Er drückte mit einer Gabel die Ränder seiner Pastete sorgfältig fest und stach die Oberfläche leicht ein. Anschließend strich er mit einem Pinsel verdünntes Eigelb über den Teig. »Fertig«, sagte Jan-Patrick zufrieden und öffnete die Tür eines seiner Öfen. »Dreißig Minuten bei zweihundertfünfundzwanzig Grad. – Du kannst nachher gern probieren.«
»Mit Vergnügen – wenn ich dann noch Appetit darauf habe«, sagte Paul plötzlich gedämpft.
Jan-Patrick richtete sich neben dem Ofen auf. Er wischte sich mit einem großen weißen Tuch die Schweißperlen von der Stirn und musterte Paul besorgt. »Was ist denn nun schon wieder passiert?«
»Noch nichts«, sagte Paul und legte den Brief auf eine saubere Stelle der hölzernen Arbeitsplatte. »Das sind quasi Antoinettes letzte Worte«, sagte er theatralisch.
Der Küchenmeister näherte sich mit verhaltenen Schritten.
»Von der ermordeten Französin? Warum kommst du damit ausgerechnet zu mir?«, fragte er nicht gerade begeistert.
Paul deutete auffordernd auf das Kuvert. »Der Brief ist auf Französisch geschrieben. Ich hatte gehofft, dass du ihn für mich übersetzen kannst.«
»Ich?« In Jan-Patricks braun gebranntem Gesicht stand offenes Erstaunen.
»Ja«, bekräftigte Paul. Er nahm den Brief aus dem Umschlag und hielt ihn seinem Freund auffordernd entgegen.
»Ich und Französisch?«, fragte Jan-Patrick noch immer verdutzt. »Du meinst wegen Charolais Entrecôte, Crottin de Chèvre oder Crépinettes? « Der Koch fasste sich an den Kopf und lachte.
»Ich bitte dich, Paul: Die Namen meiner Gerichte kannst du im Kochbuch nachschlagen. Und für die ganz kniffligen Fälle habe ich meine Marlen. Ich selbst aber bin …«
»… ebenfalls ein alter Lateiner«, ergänzte Paul
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