Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Ritter.
31
Draußen schlug ihm sofort wieder die trockene Hitze entgegen. Sie haute einen schier um. »Was für ein Sommer«, sagte er, als er auf den Gehsteig trat. Er sah nach oben: kein Wölkchen. Das mochte für einen Urlauber in Strandnähe angenehm sein, nicht aber für ihn in seiner jetzigen Situation.
Moment einmal, stutzte Paul. In was für einer Situation war er denn? Im Grunde genommen ging es ihm doch gut. Er hatte einige gewinnbringende Aufträge in petto, seine Miete für diesen Monat war bereits bezahlt und er lebte derzeit eigentlich ein sorgenfreies und unbekümmertes Singleleben. Was hinderte ihn eigentlich daran, sich in seinen Renault zu setzen und hinunter zur fränkischen Seenplatte zu fahren? Ausspannen am Sandstrand, Erfrischung im kühlen Nass der Stauseen, ab und zu ein unverfängliches Techtelmechtel mit einer Bikinischönheit. – Paul sog die warme Luft in seine Lungen. – Das wäre wirklich einmal eine Wohltat.
Doch es war zu schön, um wahr zu sein.
Er betrat sein Loft und wusste, dass er nicht so frei war, wie er vielleicht sein könnte. Mochten es auch nicht die äußeren Umstände sein, so war es eine Stimme tief in seinem Inneren, die ihn auf einen ganz bestimmten Weg zwang, den er zu gehen hatte – koste es, was es wolle. Er konnte seine Beklommenheit in Bezug auf die Morde nicht so einfach von sich schieben.
Paul nickte routinemäßig seiner Mokkabraunen zu. Dann ging er in sein Wohnatelier. Das wilde Blinken seines Anrufbeantworters fiel ihm schon aus der Ferne auf. Flüchtig sah er sich nach Blohfeld um, doch ein leises Rauschen und Plätschern verriet ihm, dass der Reporter sich unter der Dusche abkühlte.
Paul drückte den Wiedergabeknopf und ließ sich auf sein Sofa fallen.
»Hallo?«, fragte eine argwöhnisch klingende Frauenstimme. »Hallo? Herr Flemming? – Hier spricht Frau Imhof. Sie erinnern sich? – Sie haben mir Ihre Karte überlassen, nach Ihrem Besuch bei mir.«
Paul sprang auf.
»Wie gesagt«, schepperte es aus dem Anrufbeantworter, »Sie haben mich ja gebeten, dass ich mich melden soll. Falls etwas passiert. Nun, Sie wissen schon.«
Paul lauschte angespannt.
»Ich mache mir allmählich Sorgen. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass mein Mann öfter mal verschwunden war … Sie können sich denken, dass da hin und wieder andere Frauen im Spiel waren. Das ist mir letztlich gleichgültig. Wir sind seit so vielen Jahren zusammen. Ich meine: Was soll’s? Jedem seine Freiheit.«
Paul wurde ungeduldig.
»Früher war er mit seinen Affären öfter mal im Sommerhaus an der Rednitz.«
Paul horchte auf.
»Das ist eine ziemlich heruntergekommene Sozialeinrichtung der Wiesingers in Fürth. Stammt noch aus den Siebzigern. Ist damals auf Druck der Gewerkschaft als eine Art Sommerfrische für fleißige Mitarbeiter eingerichtet worden. Das alles ist ziemlich lange her. Mir ist nicht einmal bekannt, ob mein Mann überhaupt noch einen Schlüssel für das Haus hat. Damals, als Betriebsratsmitglied, hatte er ja die Schlüsselgewalt, aber heute wäre das sicher illegal, wenn er ihn noch immer benutzen würde …«
Paul beugte sich dicht über den Anrufbeantworter. Fast so, als wollte er hineinkriechen.
»Ist ja auch egal. – Ich dachte nur: Es könnte vielleicht nicht schaden, wenn Sie dort einmal nachsehen. – Ich kenne ja sonst niemanden, an den ich mich wenden könnte …«
Frau Imhof hatte zögernd die Adresse des Sommerhauses auf den Anrufbeantworter diktiert. Paul kritzelte sie auf einen Notizzettel, der neben dem Telefon lag. Dann ging er zurück zum Sofa, setzte sich und ließ das eben Gehörte auf sich wirken.
Die Frau machte sich wirklich Sorgen um ihren Mann. Imhof war ein Herumtreiber; so viel konnte sich Paul mittlerweile zusammenreimen. Er kannte Imhof nicht, und dennoch wusste er schon jetzt, dass er ihn nicht besonders mochte.
Andererseits … Paul stand noch einmal auf, ging an ein Regal unweit der Küchenzeile. Er schob ein silbern gerahmtes Aktfoto beiseite. Das Model ließ Ähnlichkeiten mit Antoinette erahnen, schoss es Paul dabei durch den Kopf, als er die im Schneidersitz vor einer Zimmerpalme sitzende Nackte betrachtete. Hinter dem Bild stand eine quadratische schwarze Pappschachtel, in der Paul seine Stadtpläne aufbewahrte. Er suchte eine Weile, bevor er den Plan Nürnberg/Fürth fand. Dann machte er es sich wieder auf seinem Sofa bequem.
Er entfaltete die Karte und konzentrierte sich auf die Umgebung von Fürth. Mit dem Finger fuhr er die
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