Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Überschwemmungsgebiet. Die Sonne brannte nach wie vor gnadenlos vom Himmel. Die Wiesen waren verdorrt. Ihm war sein Unterfangen nicht ganz geheuer, so dass ihm einige Hundebesitzer, die ihn harmlos grüßten, auf unbestimmte Art gefährlich oder zumindest verdächtig erschienen. Kurz hinter dem Zusammenfluss von Rednitz und Pegnitz erblickte er eine Anhöhe mit einigen eingewachsenen, flachen Gebäuden.
Hier musste es sein, dachte er, als er durch einen stellenweise verrotteten Jägerzaun das Grundstück betrat. Bis auf ein dumpfes Brummen, das aus Richtung der Ludwigbrücke über die Wiesen getragen wurde, war alles still. Paul blickte sich um: Insgesamt drei Bungalows fanden auf dem kleinen Plateau Platz. Sie wirkten überaus vernachlässigt und marode. Ihr vielleicht einmal vorhandener Charme war längst verflogen.
Der heiße Wind blies Sandkörner und Staub zu kleinen Wirbeln auf. Irgendwo klapperte ein loser Fensterladen. Die unterschwellig bedrohliche Atmosphäre und die Hitze ließen Paul an einen Hollywood-Western kurz vor der tödlichen Schießerei denken.
Die Eingänge von zwei Bungalows waren mit Holzbrettern vernagelt. Das dritte, rechts außen stehende Gebäude war zwar in einem ebenso erbärmlichen Zustand, wirkte aber noch bewohnbar. Paul ging langsam darauf zu.
Die Tür war verschlossen. Da Paul keine Klingel fand, klopfte er erst sachte, dann kräftig an. Nichts rührte sich. Paul überlegte, was die Leute in Filmen taten, wenn sie ein verdächtiges Haus ausspionieren wollten. Er schmunzelte, weil ihm bewusst wurde, wie skurril seine momentane Situation war. Dennoch entschloss er sich, den nächsten Schritt zu tun und den Bungalow zu umrunden.
Die rückwärtigen Fenster waren zwar nicht vernagelt, doch blickdichte Vorhänge verwehrten einen Blick ins Innere. Das gleiche Bild bot sich ihm an der Terrassentür: auch hier dicke Vorhänge, die nicht einmal einen handbreiten Spalt zum Spähen ließen.
Das war wohl schon wieder ein Reinfall, gestand sich Paul ein, als er den Blick über den verwilderten Garten des Hauses schweifen ließ.
Plötzlich fuhr er zusammen: Hatte sich der Vorhang hinter der Terrassentür nicht eben bewegt?
Er traute sich kaum zu atmen. Doch nichts geschah.
Paul tastete sicherheitshalber nach seinem Handy, während er sich langsam heranpirschte. Bis auf einen halben Meter näherte er sich der Tür, ohne den Vorhang auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
Ihm schlug das Herz bis zum Hals, als er eine Hand hob, um zu klopfen.
Der Vorhangstoff hing unbewegt vor ihm. Paul starrte auf das verblichene Muster und ballte seine Hand zur Faust. Wenn er herausbekommen wollte, ob wirklich jemand im Haus war und ihn beobachtet hatte, musste er es tun: Er musste an diese verflixte Tür klopfen!
Sein Handy klingelte.
»Verdammt!« Paul entfernte sich hektisch von der Terrassentür und hielt das Gerät zitternd ans Ohr.
»Ja?«, fragte er kurzatmig und blickte argwöhnisch auf den Vorhang.
»Ich bin es, Katinka. – Warum klingst du so komisch?«
»Komisch?«, zischte Paul. »Ich klinge ganz bestimmt alles andere als komisch.« Der Vorhang blieb wie auf einem Foto fixiert: Nicht die leiseste Bewegung deutete sich an.
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte Katinka besorgt.
Paul vergrößerte den Abstand zur Terrassentür. »Schon gut, schon gut. Habt ihr den Kerl?«
»Ja, der Anruf war leicht nachzuverfolgen. Mich wundert, warum der Idiot kein Handy benutzt, sondern aus dem Festnetz telefoniert hat.« Katinka gab Paul die Adresse eines Fitnesscenters im Stadtteil Gostenhof durch. »Wir treffen uns dort in – sagen wir – einer Viertelstunde. Schaffst du das?«
»Du willst den Typ mit mir zusammen stellen?« Paul war mehr als verblüfft über Katinkas unkonventionellen Vorschlag.
»Ich denke, wir beide haben gute Gründe dafür, uns den Mann persönlich vorzuknöpfen. Aber keine Sorge: Vor dem Fitnesscenter wird eine Streife warten und uns notfalls zur Hand gehen.«
»In Ordnung«, sagte Paul. »Ich mache mich gleich auf den Weg.« Er warf einen letzten zweifelnden Blick auf die Terrassentür des Bungalows und setzte sich dann in Bewegung.
»Moment noch«, bremste ihn Katinka. »Was ist das für eine Geschichte von dieser Frau Imhof und diesem merkwürdigen Sommerhaus an der Rednitz?«
»Woher weißt du …« Paul biss sich auf die Zunge. Es war logisch: Katinka hatte illegalerweise auch die übrigen Gespräche mithören lassen, die bei ihm
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