Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
eingegangen waren. Darunter natürlich ebenso die Nachricht von Frau Imhof auf seinem Anrufbeantworter. Aber konnte er ihr daraus in seiner jetzigen Situation einen Vorwurf machen? Schnellen Schrittes entfernte er sich von dem Bungalow. »Vergiss es«, sagte er zu Katinka. »Das ist eine ganz andere Baustelle. Für dich nicht weiter von Belang.«
»Wenn ich dir nur glauben könnte, du Schlitzohr.«
Paul atmete erleichtert auf, als er das Plateau mit den drei Gebäuden hinter sich gelassen hatte und sich der sichere Wiesengrund vor ihm ausbreitete.
33
Das flaue Gefühl, das sein Abstecher nach Fürth in ihm hervorgerufen hatte, hing ihm noch nach, als er Gostenhof erreichte. Er drosselte das Tempo, als er in eine der engen und hoffnungslos zugeparkten Straßenfluchten einbog. Eigentlich mochte er Gostenhof. Paul hatte hier einige Bekannte und Kollegen; sie lebten und arbeiteten auf Tuchfühlung mit dem bunt gemischten Gostenhofer Volk – angeblich Menschen aus achtzig Nationen.
Ja, dachte Paul, während er auf dem Weg zum Fitnesscenter mit seinem Wagen die Straße entlangschlich und einen Parkplatz suchte, Gostenhof hatte das gewisse Etwas. Er schaute aus dem Fenster und sah Menschen vor einem Dönergrill, einen Gemüsehändler hinter seinem Stand mit eingelegten Oliven, Käse und Obst und dösende alte Männer unter einem Baum. Gostenhof war laut und schmutzig, andererseits grün und nostalgisch: Paul dachte an die vielen versteckten Biergärten und die verschlafenen, oft begrünten Innenhöfe, wo der wilde Wein die maroden Backsteinwände hinaufkletterte.
Er fuhr einige Male vergeblich um den Block. Dann hatte er die Nase voll von der Parkplatzsuche und stellte seinen Wagen direkt im Halteverbot ab.
Die letzten Meter bis zu dem über einem Bistro im ersten Stock untergebrachten Fitnesscenter ging er zu Fuß. Fitness Schaller stand in großen Neonbuchstaben über dem Eingang.
Aber natürlich, dachte Paul: Hans Schaller, auch der Schöne Hans genannt, war stadtbekannt! Eine schillernde Persönlichkeit. Wenn er sich richtig erinnerte, hatte der Schöne Hans eine viel beachtete Karriere als Kampfsportler hinter sich und sogar einige Europameistertitel in Karate errungen. Doch dann war Hans Schaller auf Abwege geraten. Er hatte in einigen Softpornos mitgewirkt und eine Securityfirma gegründet, die er wegen mehrerer schlagzeilenträchtiger Körperverletzungsverfahren aufgeben musste. Nun besaß er einen Fitnessclub.
Über eine ausgetretene Holztreppe gelangte er in das Studio. Hier stank es nach kaltem Männerschweiß, und tatsächlich mühten sich trotz der Affenhitze einige Muskelmänner an Kraftmaschinen und Hantelbänken ab.
Er versuchte sich möglichst unauffällig in der Fitnesshalle nach Katinka umzusehen und war erstaunt, sie ganz allein am anderen Ende des Raums zu entdecken. Sie winkte Paul vom Tresen einer Bar aus zu, über der ein Schild für eiweißhaltige Energiedrinks warb.
Zügig ging Paul auf sie zu. »Wo ist die Verstärkung, von der du am Telefon gesprochen hast?«, raunte er ihr zu, während er sie zur Begrüßung hastig umarmte.
»Hallo, erst einmal«, sagte Katinka und ignorierte seine Frage.
»Du hast doch nicht vor, die Sache allein zu regeln?«
»Nein.« Katinka lächelte abenteuerlustig. »Du bist ja bei mir.«
Paul fand das nicht besonders lustig und erkundigte sich, ob Katinka den Drohanrufer bereits ausgemacht hatte.
Katinka nickte und deutete mit beiläufiger Kopfbewegung auf einen kleinen, kompakt gebauten Mann hinter dem Tresen, der ihnen den Rücken zuwandte. »Das ist er.«
»Der Schöne Hans höchstpersönlich?«, fragte Paul erstaunt.
Obwohl er sehr leise gesprochen hatte, musste ein Wortfetzen den Mann hinterm Tresen erreicht haben. Der Schöne Hans vollzog völlig unerwartet eine wieselflinke Drehung um seine eigene Achse. Paul sah für Sekundenbruchteile in zwei weit aufgerissene helle Augen, die in einem solariumgebräunten Gesicht mit rotblondem Schnauzer leuchteten.
Der Schöne Haus hievte seinen trainierten Körper mit geübter Leichtigkeit über eine Schwenktür am Ende der Theke und rannte los.
Paul schaute Katinka verdutzt an. Diese zog schnell aus ihrer Handtasche ein kleines Walkie-Talkie und gab ein paar knappe Anweisungen.
Wenige Minuten später stand die unglückliche Gestalt wieder hinter dem Tresen. Dieses Mal allerdings in Handschellen und mit zwei Polizeibeamten hinter sich.
»Dann wollen wir uns mal gegenseitig vorstellen«, eröffnete Katinka
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