Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
fragen, was er von den geplanten wissenschaftlichen Untersuchungen der Heiligen Lanze hielte, als dieser plötzlich zu schwanken begann.
Der Atem des Alten ging noch schneller. Er musste sich mit einer Hand an der Vitrine abstützen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Paul besorgt. Doch das war es ganz offensichtlich nicht. Ohne den Blick von der Heiligen Lanze zu wenden, griff Bartel mit seiner freien Hand nach Pauls Arm. Er schnappte immer wieder nach Luft, aber seine Atemzüge wurden zusehends flacher.
Paul spürte, wie sich die knochigen Finger des Alten in seine Haut krallten. Dann weiteten sich Bartels Augen. Er atmete noch einmal ein und schien zu erstarren.
Paul sah sich besorgt nach allen Seiten um. Er war völlig überrumpelt von dieser Situation und wusste nicht, was vor sich ging.
Im nächsten Augenblick löste Bartel seine Umklammerung, griff sich an die Brust und brach mit einem Stöhnen zusammen.
»Um Himmels willen!«, rief Paul, der den Fallenden im letzten Moment auffing.
Sehr bald eilte ein weißhaariger Smokingträger an Pauls Seite. Er brauchte nicht erst zu sagen: »Ich bin Arzt!«, denn das bewiesen schon seine professionell wirkenden Handgriffe.
Routiniert legte er Bartel auf den Boden, machte die Brust frei und öffnete gleichzeitig mit zwei Fingern den Mund des Bewusstlosen.
»Infarkt«, hörte Paul den Arzt raunen. Dann wurde er beiseite geschoben. Zwei Rettungssanitäter waren jetzt zu ihnen gestoßen und breiteten ihre Ausrüstung neben Bartel aus.
Mehr und mehr Menschen sammelten sich vor der Vitrine. Paul machte geistesgegenwärtig einige Fotos. Dann schob sich die Menge in sein Blickfeld. Von draußen tönte bereits das Martinshorn des Rettungswagens. Bald würde Bartel abtransportiert werden.
Der Großteil der Gesellschaft fand seine Unbeschwertheit wieder und stärkte sich nach dem kleinen Schrecken mit Nouvelle-Cuisine-Häppchen vom Silbertablett. Paul konnte das nicht. Er war aufgewühlt und in Sorge um den alten Mann. So gut es ging, versuchte er sich an die Rettungssanitäter anzuhängen. Doch das war ein schwieriges Unterfangen. Die Umstehenden und das Wachpersonal schotteten Bartel ab. Paul erfuhr gerade noch, dass der alte Mann in die Notaufnahme des Theresien-Krankenhauses eingeliefert werden würde. Dann hatte er Bartel endgültig aus den Augen verloren.
14
Paul hätte es keine Minute länger bei der Ausstellungseröffnung ausgehalten. Kurz nachdem der Rettungswagen mit Bartel abgefahren war, suchte auch Paul das Weite. Er wollte so schnell wie möglich nach Hause.
Das aufwühlende Erlebnis mit dem alten Zeitzeugen beschäftigte ihn sehr. Unruhig schritt er durch sein Atelier. Er war viel zu ergriffen von der Sache, als dass er sich jetzt durch seichte TV-Unterhaltung oder etwas ähnlich Belangloses hätte ablenken können. Er musste irgendetwas tun!
Wie war das? Bartel war in das Theresien-Krankenhaus gebracht worden?
Paul setzte sich an seinen Schreibtisch und griff zum Telefonbuch. Er schlug die Nummer der Klinik nach.
Die klare Stimme einer jungen Krankenschwester erkundigte sich nach dem Grund für seinen Anruf.
»Bei Ihnen wurde gerade ein alter Herr eingeliefert«, sagte Paul. »Sein Name ist Bartel. – Nein, nicht Barschei. Bartel, Heinrich Bartel.« Paul rieb sich nervös den Hals. »Nein, er ist kein Verwandter von mir. Aber hören Sie, bitte: Ich war dabei, als er den Infarkt erlitten hat. Ich möchte doch nur wissen, wie es ihm geht. – Ja, ich verstehe, dass Sie Ihre Vorschriften haben.«
Paul musste seinen kompletten Vorrat an Schmeicheleien auffahren, bevor die Schwester ein wenig zugänglicher wurde.
»Ich kann Ihnen keine Auskunft geben«, sagte sie zwar, »aber wenn Sie sich so große Sorgen um den Patienten machen, kann ich ja Ihre Nummer notieren. Ich rufe Sie an, falls es etwas Neues über seinen Gesundheitszustand gibt. Einverstanden?«
Paul atmete auf. »Einverstanden. Schreiben Sie bitte mit.«
Noch immer sehr bewegt, lehnte er sich zurück, warf den Kopf in den Nacken und durchwühlte mit beiden Händen sein Haar.
»Meine Güte!«, sagte er in den leeren Raum hinein. »In was für eine Sache bin ich da wieder hineingeraten?« Es war zum Verrücktwerden! Als wäre seine eigene missliche Lage nicht schon schlimm genug, musste jetzt auch noch dieser Unglücksfall hinzukommen. Und wieder war es im Zusammenhang mit den Reichskleinodien beziehungsweise der Heiligen Lanze geschehen.
Blohfeld wartete sicher schon ungeduldig in der
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