Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
österreichischen Bundesregierung wurden die Reichskleinodien auf Beschluss des Alliierten Kontrollrates am 4. Januar 1946 nach Österreich gebracht«, setzte Schrader seine Rede fort, »wo sie seit 1954 in der Schatzkammer der Wiener Hofburg wieder öffentlich ausgestellt sind. Herr Bartel hat – wie viele von uns – die Originale bis heute nicht mehr zu Gesicht bekommen. Mein und unser aller Dank gebührt deshalb der großzügigen und freundschaftlichen Unterstützung der Stadt Wien und des Landes Österreich . . .«
Die Pressekollegen lauschten noch immer den Ansprachen. Paul aber hörte nicht weiter zu, sondern nutzte die Gelegenheit, um den Zeitzeugen anzusprechen. Irgendwie hatte er es im Gefühl, dass ihm Heinrich Bartel von Nutzen sein konnte.
»Entschuldigen Sie«, sagte Paul. »Mein Name ist Flemming, Paul Flemming. Ich bin Fotograf und interessiere mich für Ihre Geschichte.«
Der alte Mann sah Paul aufmerksam an. Seine Haut war, aus der Nähe betrachtet, noch runzliger, als sie Paul im Sucher seiner Kamera erschienen war. Bartels Haare waren dünn, seine Haltung war gebeugt. Alles in allem wirkte er sehr gebrechlich.
Bartel schenkte Paul ein Lächeln, das ein gut gepflegtes Gebiss präsentierte: »Gern, sehr gern. Das ist ein besonderer Tag für mich. Was möchten Sie denn wissen?«
Das wusste Paul selbst nicht so genau. Wichtig war es vor allem, an dem Mann dranzubleiben. Alles Weitere würde sich – mit etwas Glück – von allein ergeben. Also fragte Paul nur, ob er Bartel begleiten dürfe, um ein paar Aufnahmen zu machen.
Bartel nickte freundlich und konzentrierte sich dann wieder auf den Redner.
Paul hatte gerade zwei Fotos des Zeitzeugen im Kasten, als ihm jemand auf die Schulter tippte:
»Das Blitzlicht bitte nicht direkt auf die Exponate richten«, sprach ihn ein Herr in ausgeprägtem Wienerisch an.
Paul gegenüber stand ein dürrer Mann mit auffallend großen Augen und an den schmalen Schultern schlackerndem Jackett. Er sah übernächtigt und gestresst aus. Trotzdem trat er Paul gegenüber höflich auf.
»Entschuldigung«, sagte Paul, »das war nicht meine Absicht.« Er sah sich das Namensschildchen am Revers des Mannes an: »Magister W. Stockinger«, las er leise.
»Schon gut«, sagte der Österreicher, »das passiert dauernd.« Er rieb sich die müde wirkenden Augen. »Für wen fotografieren Sie?« Paul sagte es ihm, worauf Magister Stockinger lächelte. »Ach, die Lokalpresse. Dann werden Sie wohl einen großen Aufmacher über die Demo draußen bringen und den Sinn unserer Ausstellung in Frage stellen?«
»Nein – warum sollten wir, Herr Magister?«, fragte Paul ehrlich überrascht.
»Na, weil . . .« Der schlaksige Mann unterbrach sich selbst und reichte Paul die Hand. »Entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit. Wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Winfried Stockinger – den Magister dürfen Sie hier in Deutschland gern weglassen. Ich bin Sicherheitsbeauftragter der Wiener Museen. Daher ist mir durchaus bewusst, dass es Widerstände gegen diese Ausstellung gibt.«
»Was denn für Widerstände?«, fragte Paul noch immer nichtsahnend.
»Nun, Sie wissen doch sicherlich, dass die Reichskleinodien – speziell die Heilige Lanze – von verschiedensten Gruppierungen für sich beansprucht werden. Von diversen Museen, religiösen Fanatikern und sogar Neonazis. In Ihrem Fall sind es wohl überaktive Heimatfreunde, die die Insignien der Macht dauerhaft zurück an ihrem – angeblich – angestammten Platz wissen wollen.«
»Ach, das da draußen sind wohl die Altstadtfreunde?«, stellte Paul fest.
»Ja, oder so ähnlich«, bestätigte Stockinger und führte Paul in einen ruhigeren Teil des Saals. Er hielt eine der zahlreichen Kellnerinnen auf, um für sich und Paul exotisch anmutende alkoholfreie Cocktails und fränkische Meerrettich-Souffles in Fingerfoodgröße vom Tablett zu angeln.
»Sind Sie extra aus Wien mitgereist, um die Reichskleinodien zu bewachen?«, erkundigte sich Paul.
Stockinger biss in sein Miniatursouffle und antwortete kauend: »Ja, und mit mir ein weiteres Dutzend menschlicher Wachhunde. Unsere Regierung hat sich nur sehr ungern von Krone, Reichsapfel und dem Rest getrennt und will auf Nummer sicher gehen, dass ihr Deutschen uns das alles auch unversehrt zurück gebt – und nicht noch mal heim ins Reich holt.«
Paul grinste Stockinger an: »Ihre Vorbehalte uns gegenüber werden nicht ganz unbegründet sein«, sagte er.
»Wenn ich mir den
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