Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
Flemming so trefflich formulierte – fest davon überzeugt, dass meine Karriere, mein Status und sogar meine Gesundheit auf der Kraft der Heiligen Lanze beruhen. Ich glaube an ihre metaphysischen Eigenschaften. Mein persönliches Schicksal ist untrennbar mit dem der Reliquie verbunden.«
»Das heißt?«, wollte es Paul genauer wissen.
Doch Jasmin fiel ihm ins Wort, indem sie Wormser anherrschte: »Sie können doch nicht ernsthaft Ihren beruflichen Erfolg, Ihr Glück, Ihr ganzes Leben von einem Stück Metall abhängig machen! Sie als Geschäftsmann! Sie verdienen Ihr Geld auf der Basis von Zahlen und Fakten. Sie müssen kühl und nüchtern kalkulieren, Tag für Tag. Wie können Sie sich solche Hirngespinste leisten?«
Wormser zuckte zusammen. Er wirkte gekränkt und waidwund. »Da unterliegen Sie einem Irrglauben«, sagte er mit kaum noch unterdrückter Anspannung. »Gerade in meinem Geschäft ist Intuition entscheidend – ein gutes Gespür. Ich bin auf meinen sicheren Instinkt angewiesen. Und vor allem auf seine sprudelnde Quelle der Kraft.« Ein seltsamer Glanz schlich sich in seine Augen, als er weiterredete: »Meine ganze Kreativität und Schaffenskraft gewinne ich aus den Energieströmen der Heiligen Lanze. Ich brauche sie nur anzusehen, sie kurz zu berühren – und schon fühle ich mich zu ungeheuren Leistungen fähig.«
»Zu diesen ungeheuren Leistungen gehören wohl auch die zwei Todesopfer?«, fragte Paul bitter.
Wormser sah ihn verständnislos an. »Es lag nie in meiner Absicht, jemanden zu verletzten oder gar zu töten. Aber diese beiden Opfer mussten offenbar gebracht werden. Sehen Sie es als den Willen einer höheren Macht an.«
»Die höchste Macht, mit der Sie in nächster Zeit zu tun bekommen, ist das Schwurgericht!«, fuhr ihn Jasmin wütend an.
Der Glanz verschwand aus Wormsers Augen. Er blickte Jasmin und dann Paul abschätzig an, als wollte er sagen: Ihr habt ja keine Ahnung.
Dann schien Wormser sich gesammelt zu haben und sagte sehr ruhig: »Ich habe versucht, Ihnen meinen Standpunkt sachlich darzulegen. Aber niemand sollte meine Höflichkeit mit Schwäche verwechseln.«
Bevor sich Paul einen Reim darauf machen konnte, trat Wormser unvermittelt aufs Gaspedal.
Der starke Motor des DTM-Wagens heulte auf. Paul und Jasmin schafften es gerade noch, einen Schritt zurückzuspringen, als sich der Bolide wie ein Geschoss entfernte.
Paul war angesichts der veränderten Lage ratlos. Nun war genau das eingetreten, was er unter allen Umständen vermeiden wollte. Er sah dem schnittigen Fahrzeug nach, das ganz schnell kleiner wurde und dann hinter der Grundig-Kehre verschwand.
»Wir müssen hinterher!«, war das einzige, was ihm dazu einfiel. Sein Instinkt befahl ihm, an Wormser dranzubleiben, ihn keinesfalls aus den Augen zu lassen. »Schnappen wir uns auch so einen Tourenwagen.«
»Vergiss es!«, schnauzte ihn Jasmin an. »Die haben ein völlig anderes Cockpit als normale Straßenautos. Sequentielles Getriebe und eine andere Zündung. Bis wir damit zurechtkommen, ist Wormser längst über alle Berge.« Sie sah sich hektisch um, griff Paul dann am Ärmel und zog ihn hinter sich her.
Paul hatte Mühe, ihr mit seinem angeschlagenen Fuß schnell genug folgen zu können. »Wohin willst du?«
»Siehst du das Auto da drüben hinter der Absperrung?«
»Das so lackiert ist wie ein Follow Me vom Flughafen?«, fragte Paul wenig begeistert.
»Ja! Das ist ein Pace-Car der Rennleitung. Die lassen meistens die Schlüssel stecken, damit sie schnell losfahren können.«
Keine dreißig Sekunden später saßen sie in dem Pace-Car. Der Schlüssel steckte tatsächlich. Jasmin, die auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte, beschleunigte, noch ehe sich Paul anschnallen konnte.
»Wow! Nicht so schnell«, sagte Paul und sah besorgt auf den Tacho.
»Ich habe mal am freien Fahren auf dem Hockenheimring teilgenommen«, sagte Jasmin und wirkte trotz der dramatischen Lage, als würde ihr die Situation gefallen. »Leg den Gurt an! Den wirst du brauchen.«
Mit für Pauls Empfinden viel zu hohem Tempo fuhren sie in die Kehre ein. Paul wurde zur Seite gedrückt und stützte sich nach Kräften an der Armlehne der Beifahrertür ab. »Alle Achtung!«, sagte er gepresst. »Der Wagen zieht gut an. Aber mit Wormsers Rennmaschine werden wir trotzdem nicht mithalten können.«
Jasmin lachte spitz auf, ohne den Blick von der Fahrbahn zu nehmen. »Du sitzt hier in einem AMG-Modell von Mercedes: ein CLS mit 5,5 Liter Hubraum und
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