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Paul, mein grosser Bruder

Paul, mein grosser Bruder

Titel: Paul, mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Lindquist
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sie auch abgemacht. Wie auch immer, du hast den offenen Sockel immer als Garage für deine Autos benutzt. Und Mama oder ich haben wohl die Verblendung wieder aufgesetzt, ohne nachzusehen, ob da vielleicht noch Autos drin waren. Deswegen haben wir den Austin auch erst nach einer Woche gefunden .«
     
    Ich konnte nicht einschlafen. Ich war viel zu aufgeregt. Neben mir - auf meinem Nachttischehen - stand der blaue Austin. Ich hatte den Eindruck, er schimmerte. Wie ein magischer Gegenstand. Und die blaue Lackierung, die ich eigentlich nie gemocht hatte, wirkte plötzlich schön.
    Ich sah in Richtung meiner Kleiderschränke, senkte den Blick, bis er auf den weißen Sockelverblendungen ruhen blieb. Mein Bruder ist auch in dieser Wohnung aufgewachsen, in diesem Zimmer. Er hatte auch mit Autos in der Diele gespielt. Und vielleicht hatte auch er die Sockel der Dielenschränke als Garage für seine Autos benutzt, für den dunkelroten Pferdetransporter.
    Ich stand auf und schlich mich in die Diele. Aus dem Schlafzimmer von Mama und Papa konnte ich Schnaufen und schwaches Schnarchen hören. Ich setzte mich auf den Boden und betrachtete die weißen Sockelleisten. Aber ich konnte keinerlei Schrauben sehen.
    Vorsichtig tastete ich die Verblendungen ab. Sie schienen fest zu sitzen. Ich traute mich nicht, ein Werkzeug zu benutzen; dann würden meine Eltern mit Sicherheit aufwachen.
    Ich kroch wieder in mein Bett.
     
    Ich wachte am nächsten Tag spät auf. Papa war zu einem Bogenschützenwettbewerb gefahren. Mama würde den ganzen Tag zu Hause sein. Und ich wollte allein sein, wenn ich die Sockelleisten öffnete.
    Am Nachmittag fragte sie mich, was mit mir los sei.
    »Du wirkst so rastlos«, sagte sie. »Ist irgendwas Besonderes ?«
    »Nein«, log ich. »Es ist nichts .«
    Sie sah mich forschend an.
    »Du bist vielleicht noch nicht richtig gesund .«
    »Ich brauche bloß etwas frische Luft. Ich glaube, ich gehe ein bisschen nach draußen .«
     
    Daniel lächelte, als er mir die Tür öffnete.
    »Soso, du bist heute bei der Feldarbeit. Komm rein! «
    »Ich wollte das Foto sehen«, bat ich ihn und setzte mich aufs Sofa.
    Daniel räumte einige große Kunstbände im Regal zur Seite und holte ein altes schwarz bemaltes Holzkästchen hervor. Daniels Schatzkiste, dachte ich bei mir.
    Er nahm das Kästchen mit und setzte sich neben mich. Er drehte das Kästchen so, dass ich nicht sehen konnte, was drin war, als er es öffnete. Einen Moment suchte er, dann nahm er das Bild heraus und gab es mir rüber.
    »Hier ist es«, flüsterte er.
    Es war wie bei einer Zeremonie.
    Du warst es, Paul.
    Du stehst vor einem aufgespannten Laken, weiche Schatten und Lichtstreifen spielen auf dem Tuch hinter deinem Körper. Du streckst dich, als wärst du gerade aufgewacht. Du hebst deine Arme und hältst die Hände hinter deinem Nacken verschränkt, die Ellenbogen schießen an den Seiten deines Kopfes nach oben. Wenn ich die Augen zusammenkneife, sieht es aus, als hättest du Flügel. Du streckst dich, dein Brustkorb und dein Unterleib schieben sich ein wenig nach vorn. Dein rechtes Bein steht fest auf dem Boden, während du das linke hebst; lediglich die Zehen berühren den Boden. Du streckst dich, und in der Bewegung dreht sich dein Körper etwas. Deine Augen sind fast geschlossen. Deine Lippen lächeln.
    »Hast du das Bild arrangiert ?« , fragte ich Daniel.
    »Nein. Niemand hat es arrangiert. Ich stand nur da und betrachtete ihn. Und Paul streckte sich. Und ich drückte auf den Auslöser. Klick! Das war alles .«
    »Es ist wunderschön«, sagte ich.
    »Er war ein wunderschöner Junge«, sagte Daniel.
    »Hast du noch mehr Abzüge hiervon ?«
    »Ich glaube schon. Warum? Willst du es haben ?«
    »Gerne.«
    »Sicher. Du kannst es haben. Aber zeige es nicht unbedingt ... «
    »Nein. Ich werde es niemandem zeigen .« Daniel beugte sich vor, er betrachtete das Foto.
    »Kannst du nachvollziehen, dass er mich verwirrte? Kannst du verstehen, dass ich nicht wusste, was ich machen sollte? Dass ich mich nicht traute, ihm noch näherzukommen ?«
    »Ja«, antwortete ich leise. »Das kann ich gut verstehen. «
    »Schau dir an, wie schön er ist. Er ... du wirst ihm immer ähnlicher .«
    Ich spürte, dass ich ihn verletzte, als ich antwortete.
    »Ich finde nicht, dass wir uns ähnlich sehen. Möglicherweise auf den ersten Blick. Das ist alles. Allerdings glaube ich, dass alle, die ihm begegnet sind, die ihn gekannt haben, ihre Erinnerungen an Paul mit meinem Gesicht,

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