Paula Kussmaul laesst nicht locker
wieder.
»Na gut!« Paula zuckte die Achseln. »Dann gehe ich jetzt zu deinen Eltern und sage, dass ich dich gefunden habe.«
»Wenn du das tust, dann ...« Enno ballte die Fäuste.
»Was dann?« Paula kuckte neugierig. »Willst du mich dann verhauen? Oder mir ein Bein stellen? Damit ich hinfalle und auch eine Gehirnerschütterung kriege?«
War Enno noch bleicher geworden? »Eine Gehirn ...?«
»Ja, eine Gehirnerschütterung! Sascha liegt im Krankenhaus und hat eine ganz schlimme Gehirnerschütterung.«
Paula übertrieb absichtlich. Was Enno getan hatte, war ja nicht in Ordnung gewesen. Er sollte wenigstens einen Schreck bekommen. Es hätte ja wirklich etwas viel Schlimmeres passieren können.
Enno zog die Knie an die Brust, legte die Arme drüber und den Kopf obendrauf. Und so saß er nun da, ganz lange, ohne ein Wort zu sprechen.
»Und wenn ich dich nicht verrate?«, fragte Paula schließlich. »Willst du dann für immer hier oben bleiben?«
Enno machte eine Kopfbewegung, die alles bedeuten konnte.
»He! Ich rede mit dir.« Paula wurde resoluter. Natürlich musste sie Ennos Eltern sagen, dass sie Enno gefunden hatte. Aber trotzdem interessierte es sie, was er tun wollte, wenn sie ihn nicht verraten würde.
»Ich ... ich ...«, stotterte er da. »Hier findet mich ja keiner, hier kann ich bleiben, bis ... bis ...«
»Bis du erwachsen bist und nach Peru heimkehren kannst?«
Enno schwieg. Er wusste gar nicht, was er wollte. Er wollte nur nicht gefunden werden. Dass das auf die Dauer nicht gut gehen konnte, ahnte er selbst.
»Ich muss deinen Eltern aber sagen, wo du steckst. Was denkst du denn, was für eine Angst sie um dich haben! Außerdem haben sie gemerkt, dass du heute in der Wohnung warst.«
»Das weiß ich selbst, dass sie das gemerkt haben«, verteidigte sich Enno. »Die sind ja nicht doof, die wissen, dass Manolito sich nicht selbst Futter und Wasser hinstellen kann. Wo ich bin, wissen sie deshalb aber noch lange nicht. Und wenn sie Angst um mich haben – das sollen sie ja gerade! Wären wir zu Hause geblieben, müssten sie jetzt keine Angst um mich haben.«
Mit zu Hause meinte Enno Peru. Paula seufzte. Sollte das denn ewig so weitergehen? Hatte Hennie nicht vielleicht doch Recht mit dem, was sie Enno vorwarf? »Aber deine Eltern mussten doch zurück!«, schimpfte sie. »Ob sie wollten oder nicht.«
»Das ist nicht wahr!«, widersprach Enno. »Sie durften es sich aussuchen, dort bleiben oder heimkehren. Und da wollten sie nach Deutschland zurück. Sechs Jahre reichen, haben sie gesagt.«
Das wusste Paula noch nicht. Das hatten Fühmanns nicht erzählt und das hatte auch Enno bisher noch nicht zugegeben. »Und dich haben sie gar nicht gefragt?«
»Doch! Sie haben mich gefragt, und ich hab gesagt, dass ich dableiben will. Da haben sie gesagt, wir müssen abstimmen – und da habe ich natürlich verloren, weil sie ja beide zurückwollten.«
Paula dachte nach. Enno hing an Peru – und seine Eltern hingen an Deutschland! Wegen der Sprache und sicher auch, weil sie hier aufgewachsen waren. Vorsichtig sagte sie: »Also ist es deinen Eltern in Peru ganz genauso gegangen, wie es dir hier geht?«
Einen Augenblick lang kuckte Enno verblüfft. Was Paula eben gesagt hatte, hatte er noch gar nicht bedacht. »Aber sie machen, was sie wollen!«, antwortete er dann stur. »Immer haben sie gesagt, es würde mir hier schon gefallen. Ich müsste mich nur erst an alles gewöhnen. Und jetzt, wo es mir doch nicht gefällt, bin ich an allem schuld. Weil ich mich an nichts Neues gewöhnen will.«
»Ein bisschen bist du ja auch schuld. Oder?«
Paula hatte das ganz leise gesagt, und sie glaubte, nun würde Enno gleich wieder aufbegehren. Aber nein, er sah nur stumm vor sich hin, bis er schließlich zugab: »Na und? Ihr seid ja auch eine ganz blöde Klasse. Ihr seid von Anfang an gegen mich gewesen.«
Das stimmte nicht. Jedenfalls nicht ganz. Es war von Anfang an nur alles ganz blöd gelaufen. Und daran trugen sie alle die Schuld. Sascha, Kevin, Dennis und Enno ein bisschen mehr, aber alle anderen auch. Doch daran war nun nichts mehr zu ändern. Jetzt mussten sie versuchen, noch mal ganz neu anzufangen, so wie Frau Stein und Ennos Mutter es gesagt hatten.
Der Schein von Linus' Taschenlampe wurde schwächer. Enno hatte es auch bemerkt. »Mach sie lieber aus«, sagte er. »Sonst sind gleich deine Batterien leer.«
»Wollen wir deine Lampe anmachen?« Sie konnten doch nicht im Dustern hier oben
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