Paula Kussmaul laesst nicht locker
damit er nicht wieder verschwinden konnte. Sie konnte aber auch nicht die ganze Nacht vor dem Taubenschlag Wache sitzen. Was blieb ihr da anderes übrig, als Enno mitzunehmen! In die Kussmaulۥsche Wohnung. Er konnte bei ihnen auf der Couch schlafen – später, wenn alle anderen auch schliefen. Die Mutter kam ja erst in der Nacht nach Hause und dann schaute sie ganz bestimmt nicht mehr ins Wohnzimmer, da ging sie immer gleich ins Bad, bevor sie todmüde im Bett verschwand.
Und solange Katja, Jenny und Linus noch nicht schliefen? So lange musste sie Enno unter ihrem Bett verstecken! Anders ging es nicht. Und am Morgen danach wieder. Wenn Katja, Jenny und Linus dann auf dem Weg zur Schule waren und nur die Mutter noch schlief, würde sie sich zurückschleichen und Enno zu seinen Eltern bringen. Denn sie selbst würde nur so tun, als ginge sie auch zur Schule. In Wahrheit aber würde sie die Treppe nicht hinab-, sondern hinaufsteigen. Vom dritten Stock aus könnte sie dann die Wohnungstür beobachten. Falls Enno doch noch einen Fluchtversuch unternehmen sollte.
Das war Paulas Plan. Nicht gerade leicht das Ganze, aber die einzige Möglichkeit, Enno im Auge zu behalten. Enno hatte sie davon aber nur erzählt, was er unbedingt wissen musste. Sonst hätte er ganz bestimmt nicht mitgemacht.
Und so trieb ihn nur die Erinnerung an die letzte Nacht auf den harten Brettern im Taubenschlag hinter ihr her.
Vor der Kussmaul'schen Wohnungstür angelangt, schloss Paula leise auf und lauschte.
Wunderbar! Katja und Jenny stritten mal wieder lautstark miteinander. Es ging darum, wer den Mülleimer runterzubringen hatte. Und Linus? Der hockte im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Seine Lieblingszeichentrickserie lief. Paula legte einen Finger vor den Mund und Enno nickte atemlos vor Spannung und dann huschten sie durch den Flur. Enno war dabei nicht sehr wohl zumute. Er war noch nie bei Kussmauls gewesen. Nun musste er sich einschleichen wie ein Dieb.
»Das ist mein Zimmer«, flüsterte Paula, als sie die Tür hinter Enno zugemacht hatte, und zeigte auf ihr Bett. »Da musst du drunterkriechen. Wenn alle schlafen, befreie ich dich.«
Enno starrte Linus' Bett an. »Da schläft ja noch wer.« »Nur mein Bruder. Linus. Der ist aber erst sieben. Der kriegt nichts mit, er schläft immer ganz fest.«
Enno war es trotzdem unheimlich zumute, das konnte Paula ihm ansehen. Er hatte so etwas ja noch nie gemacht. Und sie auch nicht. Doch es ging nun mal nicht anders. Hätte sie ihn auf dem Dachboden warten lassen, bis alle schliefen, wer weiß, was ihm inzwischen alles eingefallen wäre.
Enno zögerte noch, da hörten sie plötzlich Schritte im Flur. Linus kam. »Schnell!«, flüsterte Paula und Enno gehorchte. Wie eine Eidechse schlüpfte er unter ihr Bett.
Linus kam, um sein Lesebuch zu holen. Der Film war zu Ende, nun wollte er noch ein bisschen lesen üben. Seine Lehrerin hatte wirklich noch gar nicht gemerkt, dass er ein schlechter Leser war. Er wollte weiterüben. Doch er musste Paula noch gehört haben. Ganz verwundert sah er sie an. »Hast du mit jemandem gesprochen?«
Gleich zeigte Paula ihm einen Vogel. »Mit wem denn? Denkst du, ich führe Selbstgespräche?«
»Ich hab dich aber flüstern gehört.«
»Quatsch! Ich hab in meinem Schrank gekramt. Vielleicht hat dein Ohrenschmalz geraschelt.«
Linus sah sie immer noch misstrauisch an. »Und was willst du mit meiner Taschenlampe?«
»Mit der Taschenlampe?« Wie dumm von ihr, die hielt sie ja immer noch in der Hand. »Die? Die wollte ich dir bringen. Weil die Batterien schon ganz schwach sind.«
»Aber warum hast du sie denn überhaupt genommen? Es ist doch meine Taschenlampe.«
»Ich hab was verloren und das wollte ich suchen.« Paula spielte die genervte große Schwester, die ihrem begriffsstutzigen kleinen Bruder mal wieder alles haargenau erklären musste. Linus sollte endlich mit der Fragerei aufhören. Ekelhaft, dass sie kein eigenes Zimmer hatte! Hennie hatte sich nie mit irgendwelchen blöden Geschwistern ein Zimmer teilen müssen.
»Was hast du denn verloren?«
»Einen Knopf!«, schrie Paula. »Willst du noch was
wissen? Vielleicht, wann der Knopf Geburtstag hat?« Doch damit machte sie Linus nur noch misstrau‑
ischer. »Hast du den Knopf im Schrank gesucht?« »Ja!«, schrie Paula. »Ich hab ihn überall gesucht.«
»Und? Hast du ihn schon gefunden? Oder soll ich dir
suchen helfen?«
»Hab ihn längst.« Eine Katastrophe, wenn Linus jetzt auf dem Bauch
Weitere Kostenlose Bücher