Paula Kussmaul laesst nicht locker
rumsitzen.
»Meine Batterien sind schon lange leer.«
Eine Zeit lang schwiegen sie, dann gab Paula sich einen Ruck. Enno tat ihr Leid – aber sie musste ihn verraten! Das ging doch nicht, dass seine Eltern sich weiter sorgten und er nur ein paar Meter über ihren Köpfen in seinem Versteck lag. »Ewig kannst du sowieso nicht hier bleiben«, fing sie von neuem an. »Deine Eltern waren ja schon bei der Polizei. Wenn die Polizisten hier hochkommen, finden sie dich ganz bestimmt.«
»Meine Eltern waren auch schon hier oben. Ich hab sie sogar reden gehört. Und sie haben mich nicht gefunden. Und dich hab ich vor der Haustür sitzen sehen. Ich hätte dir sogar auf den Kopf spucken können. Nicht ein Mal hast du hochgeschaut.«
Paula schwieg ein Weilchen, dann fing sie wieder an: »Polizisten suchen ganz anders. Die haben vielleicht sogar Hunde mit. Die schnuppern dann überall herum, bis sie dich gefunden haben.«
»Na und? Einsperren dürfen sie mich nicht. Ich bin ja noch ein Kind. Und wenn sie mich freilassen, laufe ich gleich wieder weg.«
Langsam wurde Paula ärgerlich. »Es ist aber gemein, seinen Eltern solche Angst einzujagen. Wer so was macht, der ist ein Schuft.«
Enno machte nur »Ph!«, und da stand Paula auf und sagte, dass sie nun endgültig gehen werde, um seinen Eltern Bescheid zu sagen.
»Na und?« Enno machte ein stures Gesicht. »Geh doch! Inzwischen verstecke ich mich woanders.«
Eine schwierige Situation für Paula. Was, wenn Enno wirklich fortlief, während sie bei seinen Eltern klingelte? Dann war sie schuld daran, wenn er diesmal richtig verschwunden war und sie ihn vielleicht tatsächlich nie mehr finden würden. Abzuschließen war dieser Taubenschlag ja nicht. Also konnte sie ihn nicht darin einsperren. Und die Tür zum Dachboden stand auch immer offen. Da hätte sie erst zur Frau Herrmann laufen und sich den Schlüssel holen müssen. In der Zwischenzeit wäre Enno längst auf der Straße und weg.
Und ihn festhalten und abführen wie eine Polizistin einen Verbrecher? Nein, das ging auch nicht. Er würde sich losreißen und die Treppe runterflitzen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so einer bist«, sagte sie enttäuscht.
»Ph!«, machte Enno. Aber dann schien er sich doch ein bisschen zu schämen. »Wenn du mir versprichst, mich nicht zu verraten, gehe ich morgen heim«, flüsterte er, ohne sie dabei anzublicken.
»Warum denn erst morgen und nicht heute?«
»Weil sie noch ein bisschen Angst haben sollen.«
Da begriff Paula endlich: Enno wollte seine Eltern und alle übrige Welt für das, was ihm angetan worden war, bestrafen. Er nahm es der Welt übel, dass er von Lima fortmusste, dass er in der Schule Ärger hatte und dass Sascha, Kevin und Dennis ihn dazu getrieben hatten, Sascha diesen bösen Streich zu spielen. Alle sollten sie um ihn zittern – und vielleicht sogar begreifen, wie sehr er litt.
»Und morgen gehst du wirklich nach Hause?« »Ja.«
Wieder überlegte Paula. Wenn sie ihm nun glaubte, und er verschwand über Nacht? Dann hatte sie einen furchtbaren Fehler gemacht. Wenn sie ihm aber nicht glaubte und ihn verriet und er lief gleich wieder fort, war auch das ein Fehler. Ihr blieb nur eine Möglichkeit: Sie musste, wenn sie ihm schon glaubte, die ganze Nacht über auf ihn aufpassen.
Aber wie sollte das funktionieren? Sie konnte doch nicht vor dem Taubenschlag sitzen bleiben, eine ganze Nacht lang. Außerdem war die Aufregung sicher noch viel größer, wenn plötzlich zwei Kinder anstatt eines gesucht werden mussten.
Paula dachte nach – und dann hatte sie plötzlich die Idee. Eine ganz verrückte, aber irgendwie auch sehr vernünftige Idee. »Kann man denn hier oben überhaupt schlafen?«, fragte sie mit scheinheiligem Gesicht. »Ohne Matratze, Kissen und Decken?«
Enno musste zugeben, dass die Bodenbretter ziemlich hart waren. Darauf aber hatte Paula nur gewartet. Gleich erzählte sie ihm von ihrer Idee.
Erst wollte Enno natürlich nicht. Aber je länger Paula auf ihn einredete und je länger er die harten Holzbretter betrachtete, auf denen er die letzte Nacht verbracht hatte, desto unsicherer wurde er. Ganz zum Schluss war er dann mit Paulas Vorschlag einverstanden. Er kam aus seinem Versteck gekrochen und lief hinter ihr das inzwischen schon ziemlich dunkle Treppenhaus hinunter. Licht anmachen durften sie ja nicht, wollten sie nicht entdeckt werden.
Sicher ist sicher
Was es mit Paulas Idee auf sich hatte? Ganz einfach: Sie durfte Enno nicht allein lassen,
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