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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Liehr
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erreicht hatte. Sie schnaufte nur laut, schrie aber nicht. Irgendwann kam von
     hinten eine Stewardess. Sie legte uns beiden die Hände auf die Schultern und sagte leise: »Liebe ist doch das Schönste überhaupt.«
    Nina ließ meine Hand los und drehte sich zu der Frau um. »Wo haben Sie denn diesen Quatsch aufgeschnappt?«
    Ein paar Minuten später erschien eine Kollegin der romantisierten Flugbegleiterin und flüsterte Nina etwas ins Ohr. Die lauschte
     ein Weilchen, nickte nervös schmunzelnd und folgte dann der beinbehaarten Matrone im Billig-Airline-Kittel. Sie gingen in
     den vorderen Bereich der Maschine, und als sie dort angelangt waren, gab sich die Stewardess Mühe, Blicke auf Nina abzuschirmen.
     Als sie die Sicht wieder freigab, war meine Kollegin verschwunden. Ich nahm
nicht
an, dass sie auf Bitten einer Fremden hin auf die Toilette gegangen war, präventiv quasi.
    Sie blieb etwa eine Viertelstunde im Cockpit, Michael Bautschik würde seinen Kollegen mehrere Runden ausgeben müssen, um diese
     eklatante Missachtung der Sicherheitsbestimmungen zu |296| kaschieren. Das Verdeckungsmanöver wiederholte sich in umgekehrter Reihenfolge, dann saß Nina wieder neben mir.
    »Und, war es cool?«, fragte ich.
    »Aber so was von«, gab sie zurück und grinste entspannt. »Net ter Typ.«
     
    Meine Nachbarn schwiegen die meiste Zeit, und wenn sie kommunizierten, dann in Ein-Wort-Sätzen, die nur aus Verben bestanden
     (»Gib«, »Trinken«, »Muss«). Dazwischen blätterten sie in Hochglanzmagazinen, die ähnlich verwachsene, ganzkörpergeölte Tarzan-Jane-Kombis
     zeigten, wobei die Models schreiend lustige Positionen einnahmen – und allesamt, wie auch meine Nachbarn, billig renovierte
     Beißer besaßen. Ihrem Gesprächseuphemismus entnahm ich allerdings, dass sie nach Ägypten flogen, um sich kurz vor einem »Wettbewerb«
     noch etwas echte Körperfarbe zuzulegen. Ich hielt das für ausgeschlossen. Ab einem bestimmten Punkt können Menschen, die nicht
     in Afrika geboren sind, nicht noch dunkelhäutiger werden. Außerdem bestätigten meine Beobachtungen die Tatsache, dass Selbstbewusstsein
     und Intelligenz einander nicht bedingen. Die beiden waren blöd wie Tempotücher, aber von sich überzeugt, als hätten sie soeben
     den Nobelpreis für Quantenphysik abgegriffen.
    Muskelbruno hatte einen enormen Klogehbedarf, vielleicht eine Folge seiner Diät. Im Zehn-Minuten-Rhythmus erhob er sich und
     drängte unter Missachtung der allereinfachsten Höflichkeitsregeln in den Gang, wobei er, um sich aufzurichten, an den Lehnen,
     manchmal auch an den Perücken unserer Vorderleute riss, als wolle er sie mit aufs Klo nehmen. Wenn dort schon andere Leute
     anstanden, schob er sie einfach grunzend und ohne auf Widerstand zu stoßen beiseite. Als ich nach einer Stunde Flug und der
     ersten Cateringrunde (der Kaffee war lau, sehr dünn und schmeckte erstaunlicherweise nach After Shave – drei Euro) bei Musik
     vor mich hin döste, schmiss mich der Gorilla fast aus dem Sitz, wobei mein |297| iPod zu Boden fiel. Nina bat mich mit Blicken, doch bitte die Schnauze zu halten, aber das ging natürlich nicht.
    »Sie sind vielleicht der größte, aber nicht der einzige Fluggast«, erklärte ich, wobei ich ihm im Weg stand. Die Toilette
     im hinteren Bereich war nicht erreichbar, weil die Flugbegleiterinnen noch mit dem Getränkewagen hantierten.
    »Geh weg.« Er war also doch zu komplexeren Satzgebilden fähig.
    »Nee, Kumpel. Erst entschuldigst du dich dafür, dass du mich angerempelt und mein Zeug runtergeworfen hast. Und um das Maß
     vollzumachen, könntest du auch noch den Leuten in der Reihe vor uns dein Mitgefühl dafür aussprechen, dass du ständig ihre
     Frisuren ruinierst.« Die entsprechende Sitzreihe rutschte bei diesen Worten synchronballettartig nach unten.
    »Weg«, wiederholte er. Sein übermuskulöses Gesicht ließ nicht viel Mimik zu, aber ich glaubte, Zorn und einsetzende Verzweiflung
     zu erkennen. Er griff mit einem der Schaufelräder nach mir, die er anstelle von Händen besaß. Ger war nie da, wenn man ihn
     brauchte, dachte ich.
    Würde er mir hier, im vollbesetzten Flugzeug, in die Fresse hauen? Mich einfach so im Gang umnieten? Ich bereitete mich innerlich
     auf Schmerz vor, aber der Mutant tat etwas anderes. Er griff mir in einer überraschend schnellen Bewegung unter die Achseln,
     hob mich hoch und ging einfach unter mir hindurch. Als ich schwankend die Orientierung zurückerlangt hatte, rannte er

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