Pauschaltourist
durch die Mittelmeerwelt getingelt und nur Leuten begegnet war, die glaubten, den Alltag
für ein paar Tage abstreifen zu können, veränderte sich der Blick. Das hier fand ich widerlich.
Noch widerlicher als Maspalomas, Agadir, Arenal und Quarteira zusammen. Keine Ahnung, was sich möglicherweise gerade in Bielefeld
abspielte, aber mein Verständnis für Barbaras Aquaparkpläne wuchs an diesem frühen Nachmittag stetig.
In der Redaktion tanzten die sprichwörtlichen Mäuse auf den Tischen. Heino Sitz war aushäusig, auf Geschäftsreise, wie Leitmann
grinsend erklärte, die nackten Füße hochgelegt und in einem Männermagazin blätternd, das nicht im Haus erschien. Sogar der
knorrige Soller lächelte mich an, als wir uns im Flur begegneten, das war für seine Verhältnisse fast schon ein emotionaler
Ausbruch. Niemand konnte sagen, wo der Chef war. Selbst im Sekretariat zuckten die Ladies nur die Schultern und lackierten
dann ihre Fingernägel weiter, während sie ausgelassen mit Freundinnen telefonierten. »Ich glaube, auf einer Konferenz«, nuschelte
eine am Hörer vorbei.
Eigentlich hatte ich hier auch nichts zu tun. Die Ausgabe mit unserem zweiten Beitrag, dem über Marokko, war gerade in der
Produktion. Ich setzte mich an meinen Arbeitsplatz; der Volontär, der meinen ursprünglichen Job ausfüllte, musste an einem
Katzentisch herumwurschteln. Er hatte mir aber einiges an elektronischer Leserpost weitergeleitet. Die Reaktionen auf den
Canaria-Artikel fielen uneinheitlich extrem aus. Die einen, eine Minderheit, beschimpften mich – uns – wegen der Arroganz
und vermeintlichen Übertreibung. Viele andere bedankten sich herzlich, fast überschwänglich. Da der Aushelfer das zu erledigen
hatte, antwortete ich nicht.
Die meisten direkt an mich adressierten Nachrichten enthielten belangloses Zeug. Einladungen zu Informationsveranstaltungen |289| und Journalistentreffs, allgemeine News, Nachrichten aus der Branche und jede Menge Spam.
Dann aber fand ich doch noch zwei sehr interessante. Die eine stammte vom stellvertretenden Chefredakteur einer überregionalen
Tageszeitung, der sich allgemein freundlich über den Beitrag (und dessen Folgen) äußerte und anmerkte, man könne sich doch
mal treffen, er würde sich freuen, mich kennenzulernen, so ganz und gar unverbindlich. Das war ein wenig verschlüsseltes Jobangebot.
Sein Blatt gehörte zwar nicht zu den ganz großen, genoss aber einen guten Ruf.
Oha.
Die zweite Nachricht hatte einen ähnlichen Tenor, ging aber noch sehr viel weiter. Ein populärer Reiseführerverlag hätte Gefallen
an der Idee gefunden und plante, eine Reihe mit Büchern aufzulegen, die quasi Anti-Reiseführer-Charakter hatten. Das gäbe
es zwar schon, ansatzweise, aber sie wollten das Konzept verstärken, das wir mit unserem ersten Beitrag ausformuliert hatten.
Die Nachricht schloss mit einer direkten Offerte (»Wir würden uns über Ihre geschätzte Mitarbeit sehr freuen«). Der Redakteur
bezeichnete mich als
Anwalt der Neckermänner,
und ich wusste nicht, ob ich beleidigt sein oder das als Kompliment auffassen sollte.
Aber ich staunte über die Kaltschnäuzigkeit beider Absender. Schließlich war es nicht eben unwahrscheinlich, dass Mails an
Redaktionsadressen in der Abwesenheit von den Vertretungen gelesen wurden. Sie hatten Glück gehabt.
Und ich?
Die Tageszeitung war nicht die
taz
, und die Ratgeber wären nur ansatzweise politische Bücher. Ich leitete die Nachrichten trotzdem an meine private Mailbox
weiter und löschte sie vom Verlagsserver.
In einem nach Angestelltenschweiß stinkenden Mobilfunkladen wollte ich mir ein neues Telefon kaufen. Meine Geduld wurde dabei |290| sehr strapaziert. Dem tropfenden Verkäufer ging nicht in den Schädel, dass ich keine Superduper-Tarife oder jahrelangen Pauschalverträge
mit fünfhundert Seiten Kleingedrucktem wollte, sondern einfach nur ein handliches, internetfähiges Mobilfunkteil, cash und
ohne Fragen. Entnervt gab ich auf und betrat gleich im Anschluss einen dieser unerträglichen Geizgeil-Elektronikmärkte, die
vorgaben, einander Konkurrenz zu machen, obwohl sie allesamt zum gleichen Großkonzern gehörten, und deren Werbung mindestens
den Straftatbestand der Beleidigung erfüllte. Ich ignorierte den käsegesichtigen Rütlischüler, der mich zu beraten versuchte,
und legte mir einen schicken kleinen Apparillo zu, der auch ohne Apfellogo alles bot, was man heutzutage zu
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