Pauschaltourist
fühlt er sich sicher.«
Jens lächelte scheu.
»Aber das macht es natürlich nicht schöner«, sagte Birgit und ließ einen ausdruckslosen Blick durch den Saal schweifen. Ich
entschuldigte mich und holte mir einen weiteren Kaffee. Auch wenn er beschissen schmeckte – am Morgen brauchte ich eine Tankladung
davon, dafür aß ich fast nichts. Als ich zurückkehrte, nach drei unfreiwilligen Umrundungen des Raums, betrachtete mich Jens
genau so, wie er es bei meinem ersten Eintreffen gemacht hatte. Dann sah er erst auf die Uhr, anschließend auf seinen Notizblock
und nickte.
»Hallo, Nikolas«, sagte er lächelnd.
»Hallo, Jens«, gab ich zurück und versuchte mich ebenfalls an einem Lächeln. Wie schrecklich, dachte ich dabei. Ausschließlich |55| in der Vergangenheit zu leben. Und Jahr für Jahr in diesem Erlebnisbahnhof Urlaub machen zu müssen. Diese Leute waren schlechter
dran als ich mit meiner telefonischen Trennung. Trotzdem spürte ich wieder, wie sich mein Hals zuschnürte, als ich an Silke
dachte. Also beschloss ich, vorläufig einfach nicht mehr an sie zu denken. Ich war wenig zuversichtlich, dass das klappen
würde.
»Es ist halb so schlimm, wenn man sich daran gewöhnt hat«, sagte Jens und zwinkerte mir zu, als hätte er meine Gedanken erraten.
Er sprach sehr langsam und schien sich jedes einzelne Wort genau zu überlegen. »Also – daran gewöhnen ist falsch gesagt. Ich
habe ja keine andere Wahl. Ich weiß auch nicht mehr, wie es vorher war. Aber Sie kommen mir jetzt auf eine Art bekannt vor.
Ihren Namen wüsste ich ohne meine Notizen allerdings nicht mehr.«
Ich fand es falsch, den beiden Märchen zu erzählen, also berichtete ich, warum ich hier war. Birgit war eine Abonnentin und
hatte sogar eine Ausgabe des Magazins im Gepäck. Beide versprachen, mein Geheimnis zu wahren; Jens strich die Notizen durch,
die er während der vergangenen Minuten gemacht hatte.
»Seien Sie nicht zu hart«, sagte Birgit. »Viele Menschen, die diese Art von Urlaub machen, genießen es tatsächlich. Und sie
haben keine andere Wahl. Ferienhäuser in der Provence oder Bungalows auf den Malediven kann sich nicht jeder leisten.«
Ich nickte.
»Wenn Sie wollen, können wir Ihnen ein paar schöne Seiten der Insel zeigen«, sagte sie, als ich mich verabschiedete. »Viele
hat sie nicht gerade. Aber es gibt sie.«
Ich bedankte mich und nahm das Angebot an.
Es war inzwischen kurz nach neun, weshalb ich dachte, dass es in Ordnung wäre, Nina zu wecken. Das aber war nicht erforderlich.
Als ich in der Hotelhalle ankam, hörte ich sie. In einer Ecke machte ich eine Art Marktstand aus, über dem ein Schild hing, |56| das in Farbe und Gestaltung der Werbung für den Autovermieter »Europcar« ähnelte, und tatsächlich stand da »Europa-Car« auf
dem Schild. Nina saß auf einem Stuhl, wedelte mit der goldenen Verlags-Kreditkarte und brüllte. Ich näherte mich vorsichtig.
Um sie herum standen mehrere Touristen in Shorts, Shirts und Sandalen, die meisten davon etwa in unserem Alter, und beobachteten
die Szene mit erkennbarem Widerwillen. Ich nahm mir einen Faltprospekt und tat so, als würde ich ebenfalls darauf warten,
an die Reihe zu kommen. Die Preise waren hanebüchen, wie ich mit einem Blick feststellte. Europa-Car verlangte für einen armseligen
Renault Clio ohne nennenswerte Ausstattung hundertvierzig Euro am Tag. Dafür könnte man so eine Karre auch
kaufen
. Ein Jeep Wrangler schlug mit zweihundertsiebzig Euro zu Buche – für diese Knete bekam man in Deutschland schon einen Porsche.
Versicherungen waren extra. Und genau darum ging es Nina, die mich noch nicht bemerkt hatte. Versicherungen waren enthalten,
wenn man mit dieser Kreditkarte zahlte, aber die etwas schrullig wirkende Dame, die Nina gegenübersaß und sich keineswegs
aus der Ruhe bringen ließ, bestand darauf, weitere vierzig Euro pro Tag für die Vollkasko zu kassieren, plus fünfundzwanzig
Euro Insassen-Unfallversicherung. Pro Nase.
»Ich sollte die Polizei rufen«, krähte Nina. »Das ist Betrug.«
»Kein Problem«, sagte die Frau hinter dem Schalter ruhig und in akzentfreiem Deutsch, das hier offenbar alle dienstbaren Geister
sprachen. »Machen Sie. Mein Bruder arbeitet bei der Polizei.« Sie hielt Nina ein Telefon entgegen.
Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter, sie drehte sich erschrocken zu mir um, beruhigte sich aber sofort.
»Probieren wir es woanders«, schlug ich vor.
»Das habe ich
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