Pauschaltourist
verachtest Ketten wie
Starbucks
«, fuhr sie unbeirrt fort, mein Privatleben vor mir auszubreiten. »Du kannst mit Smalltalk nicht umgehen, bist aber eigentlich
ein geselliger Typ. Du drehst fast durch bei Maßnahmen wie dem Rauchverbot in Kneipen oder Anwohnerparkzonen. Du isst am liebsten
gekochten Pudding, möglichst mit Haut, und After Eight.« Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme zufrieden vor der
Brust. »Ach so«, ergänzte sie und strahlte dabei. »Bei den Lieblingsbands habe ich
The Presidents of the USA
vergessen.«
»Ich fass es nicht«, wiederholte ich.
|47| Sie grinste, nahm einen weiteren Schluck Bier. »Bevor du jetzt in Panik ob meiner Menschenkenntnis ausbrichst. Die Erklärung
ist ganz einfach.«
Jetzt musste auch ich grinsen. Natürlich. »Du hast mit Steini gesprochen.«
»Selbstverständlich. Ich bin
Journalistin
. Ich bereite mich auf meine Einsätze vor.«
»Aber … wie?« Steini hatte sie vorgestern noch als ›Proleten wurst ‹ bezeichnet, und die beiden kannten sich höchstens vom Sehen.
»Vielleicht verrate ich dir das mal bei einer anderen Gelegenheit. Prost!«
Wir tranken und schwiegen ein Weilchen. Ich lauschte in die vielstimmige und insgesamt wenig erholsam klingende Geräuschkulisse.
Großstadtspielplätze oder vielbefahrene Autobahnkreuze waren gegen das hier Horte der Ruhe und Einsamkeit.
»Ein paar Dinge hat mir Steinmann allerdings nicht verraten. Wie ist es mit Familie?«
Ich nahm einen Schluck Bier und zündete mir eine neue Fluppe an, wobei ich eine Sekunde lang darüber nachdachte, warum es
mir nichts auszumachen schien, dass diese Frau, die mir weitgehend fremd war und die ich bis vorgestern für hauptsächlich
widerwärtig gehalten hatte, so viel von mir wusste. Es fühlte sich sogar irgendwie gut an. Vielleicht lag es an der Sache
mit Silke. Oder an den inzwischen drei Bieren und zwei Wodkas. An der Urlaubsstimmung. Die allerdings noch reichlich zu wünschen
übrigließ.
»Meine Eltern sind tot, ich bin ein Einzelkind«, antwortete ich. »Ein Teil von mir vermisst die Zeit, als ich in meiner Studentenbude
gewohnt habe und einfach machen konnte, wozu ich Lust hatte. Ein anderer Teil wünscht sich Familie, sogar Kinder.« Ich warf
einen Blick auf die beiden Ketchupmonster ein paar Tische entfernt. Zum Ketchup war noch eine ziemliche Ladung Mayonnaise
hinzugekommen. »Aber es muss sich richtig anfühlen. Alles |48| muss stimmen. Das tut es im Moment nicht.« Ich biss mir auf die Unterlippe. Jetzt ging es zu weit. Ich gab Dinge von mir preis,
die nicht einmal Silke wusste. Die ich bestenfalls mit Steini bekasperte, nach zehn Drinks in der Stammkneipe. Überhaupt,
diese verräterische Ratte! Der würde was von mir zu hören kriegen!
Nina lächelte. »Was ist mit Zielen? Träumen?«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Als ich zwanzig war und mit dem Studium begonnen habe, träumte ich davon, Kolumnist bei der
taz
zu werden. Und irgendwann später ein ganz großartiges politisches Buch zu schreiben. Außerdem wollte ich in alle Krisengebiete
der Welt reisen, um mehr über die Diskrepanz zwischen dem, was wir Nachrichten nennen, und der Realität zu lernen.«
»In so einer Art Krisengebiet bist du ja jetzt.«
»Vielleicht sieht es morgen früh schon ganz anders aus.« Ich räusperte mich und blies meinen Rauch in Richtung des Tisches,
an dem das Elternpärchen jetzt saß. »Aber der erste Eindruck ist tatsächlich mäßig. Wie wollen wir diese Sache überhaupt angehen?«
»Gute Frage.« Nina trank ihr zweites Bier in einem Zug aus und winkte dem Kellner, der auch just in diesem Augenblick zu uns
sah. Das hielt ihn nicht davon ab, sofort zur anderen Barseite zu wechseln, wo sich kein Gast befand, um dort Gläser zu polieren.
Unsere sahen aus, als wäre das zuletzt vor ein paar Wochen geschehen.
»Wir sollten erst mal ankommen und uns ein bisschen entspannen, denke ich«, erklärte sie.
»Mmh. Ich hab das eher technisch gemeint. Sitz hat uns ohne große Instruktionen losgeschickt. Schreiben wir über jedes Hotel
eine Reportage, über das jeweilige Reiseziel oder was? Führen wir Interviews mit anderen Gästen? Schauen wir hinter die Kulissen?«
»Muss das jetzt sein?« Sie nahm sich eine weitere Zigarette. Der Kellner kam hinter der Bar hervor, ging aber zu einem Nachbartisch, |49| an den sich neue Gäste gesetzt hatten. Nina legte die Zigarette ab, stand auf, stellte sich neben den Kellner und legte ihm
einen Arm
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