Pauschaltourist
den Balkon und sah den Touristen dabei
zu, bis alle Liegen reserviert waren und meine Müdigkeit militärische Ausmaße annahm. Dann ging ich schlafen und erwachte
kurz darauf wieder.
|69| 5.
Jens und Birgit erwarteten mich beim Frühstück, obwohl es auf zehn zuging und man bereits die Buffets abräumte, um Platz für
das Mittagessen zu schaffen – der Saal war fast leer, und erst der achte Automat gab mir Kaffee. Nachdem ich mich gesetzt
hatte und von Jens mit einem triumphierenden »Du bist Nikolas!« begrüßt worden war, spürte ich Ninas Hand auf meiner Schulter,
ohne mich dafür zu ihr umdrehen zu müssen. Sie hauchte mir tatsächlich einen Kuss auf die Wange und setzte sich zu uns. Ihr
Gesicht strahlte vor Ausgeglichenheit.
»Spaß gehabt?«, fragte sie schelmisch, nippte an ihrem Kaffee und verzog dann das Gesicht. »Heilige Scheiße, tun die da Brühwürfel
rein?«
»Nein, Salzwasser«, erklärte ich lächelnd und nickte Birgit zu, die das mit fast schon unterwürfiger Dankbarkeit zur Kenntnis
nahm.
»Na, ihr beiden Inselführerprofis, wo geht’s heute hin?«, plapperte die Leiterin des Ressorts Weltreisen weiter. »Gibt es
irgendeine Geröllhalde oder zugebaute Felsformation, die wir noch nicht gesehen haben?«
Birgit nickte so eifrig wie eine Quizkandidatin, der man eine Multiple-Choice-Frage gestellt hatte, für die sie die Antwort
nennen konnte, ohne die Auswahl sehen zu müssen. Sie zog Jens, der gerade Notizen machte, den Block weg und blätterte zu einer
Seite, die nicht in seiner Handschrift vollgekritzelt war.
»Es gibt diese Kakteenplantage«, begann sie, sah aber, wie Nina ostentativ eine Schnute zog. »Außerdem hat Tafira Alta einen
wirklich sehenswerten botanischen Garten.«
»Einen botanischen Garten gibt es auch in Berlin«, teilte Nina mit, wobei sie auf seltsame Art auf ihrem Stuhl hin und her |70| rutschte. Als sie sah, dass ich das bemerkte, hörte sie damit auf und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
»Puerto de Mogán ist ein schöner Ort, ein Fischerdorf, das fast noch authentisch aussieht«, murmelte Birgit. Sie sah nicht
sehr glücklich dabei aus.
Nina zog den Marco Polo hervor und warf ihn auf den Tisch: »Sag mir etwas, das ich noch nicht weiß.« Immerhin lächelte sie,
um der Sache die Schärfe zu nehmen. Birgit schob den Notizblock zu Jens zurück.
»Eigentlich ist das der falsche Ansatz«, warf ich ein. »Sehens würdigkeiten oder vermeintliche Insidertreffpunkte enthält jeder Reiseführer. Dafür sind wir nicht hier. Wir sollten uns ins Getümmel
werfen, Zwei- und Drei-Sterne-Hotels ansehen, in die Bars gehen, mit Touristen sprechen. Dinge wie die Kakteenplantage oder
den botanischen Garten kann ich mir auch per Wikipedia oder Google Earth anschauen. Außerdem« – ich lächelte Birgit an, die
unfroh zurücklächelte – »würde ich mir eher den Sack ans Knie tackern lassen, als mir so was anzutun.«
Nina hob eine Augenbraue und nickte dann. »Wo du recht hast, hast du recht.«
»Ohne euch zu nahe treten zu wollen«, ergänzte ich für Jens und Birgit. »Wir treffen auch die falschen Leute. Selbst dieser
Laden hier. Vier Sterne, oder?«
»Dreieinhalb. Landeskategorie.«
»Trotzdem. Immerhin ist es hier sauber und
well organized
. Manch einer mag diesem Klotz sogar etwas abgewinnen. Einige Hotels, an denen wir auf dem Weg hierher vorbeigekommen sind,
sahen nicht viel besser aus als die Platten von … Marzahn-Hellersdorf. Da müssen wir hin.«
Nina stöhnte. »Wart mal ab. In Agadir werden wir in einem Drei-Sterne-Hotel wohnen, auch Landeskategorie, und du hast keine
Ahnung, was
das
bedeutet. Auf Mallorca sind wir für einen Familienclub gebucht.«
|71| Ich schüttelte den Kopf, dafür nickte Nina.
»Du hast ja wirklich recht. Andererseits – wir gehen es einfach langsam an. Und auf diesem Schutthaufen könnten wir auch in
einem Zehn-Sterne-Luxusteil wohnen. Schutthaufen bleibt Schutthaufen.«
»Wir gehn dann mal«, sagte Birgit leise und stand auf, Jens folgte ihren Bewegungen wie ein Tanzschüler.
»Bis später«, sagte ich und versuchte, freundlich zu klingen. Birgit deutete eine unbestimmte Kopfbewegung an. Heute Morgen
sah sie wieder müde aus. Und alt.
»Haben wir die verärgert?«, fragte Nina, als die beiden verschwunden waren.
»Glaub schon.«
»Na ja«, kicherte sie. »Zumindest
er
wird uns nicht sehr lange böse sein.«
Wir fuhren ein paar Kilometer in Richtung Flughafen und sahen uns das
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