Pauschaltourist
sich vor und legte die Hände auf die Platte. »Was willst du eigentlich noch alles hören? Langsam komme ich mir
blöd vor. Du musst nur nein sagen. Das ist doch nicht schwer.«
Der Blutsturz in Richtung Schritt zeigte seine üblichen Folgen in Hinblick auf die männliche Mentalkompetenz.
»Okay«, sagte ich.
»Okay was?«
»Okay okay.«
Nadine war sehr neugierig und auf unbeschwerte Weise hemmungslos. Es war ein seltsames Gefühl, einen so jungen Körper zu berühren
– selbst Janet, die ja auch in den Zwanzigern war, kam mir im Vergleich deutlich älter vor. Während sich bei ihr schon kleine
Lachfältchen gezeigt hatten, war Nadine glatter als glatt. Sie staunte nicht schlecht, als sie meinen rasierten Genitalbereich
sah. Ich erklärte ihr nicht, warum mir dort derzeit die Haare fehlten. Sollte sie es cool finden. Ich erzählte auch nicht,
dass es schon wieder leicht kribbelte, wofür, wie ich hoffte, die nachwachsenden |139| Haare verantwortlich waren. Jedenfalls dampfte ich mich, so wie von Frau Doktor empfohlen, morgens und abends mit Filzlaus-Paral
ein.
Wir turnten stark schwitzend eine gute Stunde auf meinem Bett herum, dann bat ich um eine Verschnaufpause, also verköstigten
wir erst mal die Biere, die ich, fast schon in präsexueller Trance, noch bei meinem Kifferfreund besorgt hatte (diesmal zu
einem saftigen Preis, was mich in dieser Situation völlig kalt ließ). Ich lag auf dem Rücken, Nadine auch, aber quer über
meine Oberschenkel. Ich versuchte, mich zu erinnern, wann ich zuletzt eine Frau diesen Alters in den Armen gehabt hatte, musste
aber passen. Es war zu lange her.
»Woran denkst du?«, fragte sie und hielt sich die Hand vor den Mund, um einen kleinen Rülpser zu kaschieren. Das war eine
so süße Geste, dass mir fast Tränen in die Augen traten.
»Ich denke über die Jugend nach. Meine Beziehung« – dieses
Scheißwort
– »ist gerade nach fast acht Jahren zerbrochen, und ich war meiner Freundin immer treu. Ich komme mir vor, als würde ich in
meiner eigenen Vergangenheit herumwühlen. Eine Zeitreise machen.«
Es klopfte, sogar ziemlich energisch, Nadine sprang nackt auf und ging zur Tür. Über die Schulter sagte sie: »Das wird Madeleine
sein.«
»Das schaffe ich nicht«, nuschelte ich, aber mein kleines Anhängsel war offensichtlich ganz anderer Meinung, denn es ging
schon bei dem Gedanken an einen Dreier in Habachtstellung.
Doch es war nicht Madeleine, sondern eine Hotelangestellte in Begleitung eines sehr großen, muskulösen Mannes, der eine Art
Kakiuniform trug und seine mächtigen Arme vor der Brust verschränkt hielt. Die Botschaft war kurz und eindeutig. Man bat uns
– alle sechs – eindringlich, das Hotel umgehend zu verlassen. Die Begründung, die wir uns – inzwischen in Laken eingewickelt
– auf dem Bett sitzend anhörten, hatte etwas mit unserem Verhalten zu |140| tun, also zum Beispiel der aktuellen Situation (was mich verblüffte, aber vermutlich war das sowieso nur vorgeschoben), insbesondere
aber hatten sich die anderen Gäste darüber beschwert, was wir mit Jules gemacht hatten, den man inzwischen in ein Krankenhaus
verfrachtet hatte. »Das ist kein Bordell hier«, sagte die Rezeptionistin auf Französisch. Sie gab uns eine Stunde. Nina, die
inzwischen aufgetaucht war und hinter ihr stand, kommentierte: »Überall ist es besser als in diesem Schuppen.«
|141| 4.
Womit sie unrecht hatte.
Der einzige Laden, der uns aufzunehmen bereit war, weil es so kurzfristig noch vier freie Zimmer gab, war ein heruntergekommenes,
ziemlich großes Clubhotel am anderen Ende der Stadt, kurz vor dem Hafen und im Schatten des König-Vaterland-Hügels. Der Flachbau
mit seinen zwei versetzten, seitlich angehängten Flügeln hatte seine beste Zeit vielleicht in den Achtzigern erlebt. Grünbrauner
Putz blätterte, der Teppich in der Lobby war verschlissen, und auch die Angestellten wirkten irgendwie zerrupft und völlig
desinteressiert. Aber es hatte keine Rückflüge gegeben, was Nina ärgerte und mich tatsächlich freute, denn die Nummer mit
Nadine hatte mir Lust auf mehr gemacht. Meine Kollegin hatte unseren vier Rostocker Freunden gegenüber großmäulig verkündet,
die Kosten übernehmen zu wollen, weil wir ja schließlich schuld seien, und ihre goldene Kreditkarte auf den Tresen geknallt.
Ich war gespannt, wie Sitz darauf reagieren würde, oder Soller, unser Erbsenzähler. Andererseits kosteten diese acht Wochen
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