Pauschaltourist
»He is
not
dead!«, wiederholte er.
»Noch nicht«, ergänzte Nina leise.
Immerhin stand keiner auf, um die Polizei oder sonstwen zu holen. Jules schlief friedlich auf der Liege, die meiner Schätzung
nach noch bis zum frühen Nachmittag im Schatten stehen würde. Wir schnappten unsere Strandtaschen und wanderten los, die beiden
Rostocker schlossen sich uns an.
|134| »Wo sind eure Susis?«, fragte Nina, als wir die Hauptstraße überquerten und auf den Strand zuhielten.
»Shoppen«, sagte Robby und grinste mich an.
»Wie ist das noch mal passiert, dass dieser Typ in deinem Zimmer zusammengebrochen ist?«, fragte Kevin frech.
Nina boxte ihn in die Seite.
»Ihr seid nicht verheiratet«, stellte der schlanke Berufsschüler fest. »Und ihr seid auch keine normalen Touristen.«
»Wir sind Agenten«, flüsterte ich.
Der Strand war breit und weitläufig, braungrau, aber nicht so dunkel, wie ich ihn gestern wahrgenommen hatte. Es schien einige
wenige Bereiche zu geben, die von Hotels okkupiert waren, aber es gab eine irre Menge Platz. Zu unserer Rechten zog sich der
feine Sand bis zu einem Hafen hin, dahinter war ein staubiger, von Gestrüpp überwucherter Hügel zu sehen, auf dem gewaltige
arabische Schriftzeichen prangten. Kevin hatte mich beobachtet. »Da steht ›Gott, Vaterland, König‹«, erklärte er. »Die Schrift
ist nachts beleuchtet. Sieht cool aus.«
»Verstehe.«
Wir ließen uns nieder, Nina ging ins Wasser, kehrte aber kurz darauf wieder zurück. »Scheiße, ist das kalt!«, schimpfte sie.
Nur wenig später stand der erste Händler vor uns, ein altersloser Typ mit schmutzigem Schnauzbart und Zähnen, noch schlechter
als die von Jules. »Willkommen in meine Land!«, krähte er und hielt uns irgendwelche Tücher entgegen. Wir winkten unisono
ab, aber das Procedere wiederholte sich innerhalb der nächsten Stunde etwa zwanzig Mal, wobei sich die Typen unterschiedlich
beharrlich zeigten – einer ging erst davon, als Robby, Kevin und ich aufstanden und ihn anbrüllten. Und jeder wiederholte
die Vierwort-Grußformel, in klarem Deutsch.
»Das ist der Vorteil, wenn du hier in einem Luxushotel bist«, sagte Robby und zeigte zur Seite, wo ein paar Urlauber auf gleichmäßig
ausgerichteten, beschirmten Liegen lagen, die in fünf Metern |135| Abstand von einem niedrigen Zaun umgeben waren, außerdem standen zur Meerseite hin zwei Wächter. »Da sperren sie den Strand
ab, und du hast deine Ruhe.«
»Den nächsten bewerfe ich mit Steinen«, sagte Nina. Aber es gab keine Steine am Strand. »Wenn allerdings einer mit Bier käme,
würd ich ihm die Füße küssen.«
»Ich bin nicht sicher, dass man das hier darf, Bier in der Öffentlichkeit«, sagte Kevin. Ich nickte. Stimmte ja, wir waren
in einem islamischen Königreich. Ein seltsamer Gedanke.
Kevin und Robby hatten Skatkarten dabei, spielten aber erbärmlich, weshalb ich sie auch bei diesem Spiel, das sich mir nie
vollständig erschlossen hatte, ziemlich deutlich abzockte. Nina lag derweil mit einem Handtuch über dem Gesicht auf der Decke
und schwitzte schweigend vor sich hin. Es war wirklich sehr heiß, der dunkle Strandsand trug das Seinige bei. Nach einer weiteren
Stunde und einem Dutzend weiterer Händler – vermutlich kamen einige davon mehrfach, aber ich konnte und wollte sie nicht auseinanderhalten
– strichen wir die Segel. Ich hatte kurz in Erwägung gezogen, mir einen Jetski zu leihen oder mich nach Möglichkeiten umzusehen,
das Surfen auszuprobieren, vertagte das aber. Wir taperten zurück in Richtung Hotel, um den Rest des Tages am Pool abzuhängen.
Auf der Hauptstraße wurden wir beinahe von einem betagten weißen Renault überfahren, der mit hoher Geschwindigkeit an uns
vorbeischlingerte, dicht gefolgt von einem Polizeiwagen, einem ebenfalls nicht mehr ganz frischen E-Daimler. Noch in Blickweite
schoss das Polizeiauto an dem Renault vorbei und versperrte ihm den Weg. Zwei bullige Polizisten sprangen heraus und zerrten
den anderen Fahrer, einen jüngeren Marokkaner, aus seinem Wagen. Einer der beiden Beamten (gab es das hier?) ging zum Kofferraum
des Streifenwagens und holte einen metallenen Gegenstand heraus, den Robby verblüfft als Wagenheber identifizierte. Damit |136| drosch der Polizist dann zwei, drei Mal auf den am Boden liegenden Renaultfahrer ein.
Nina fasste nach meinem Oberarm. »Mir ist schlecht«, sagte sie und zog mich in Richtung Hotel. Die beiden Polizisten packten
den
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