Pauschaltourist
lächelte dankbar. »Ehrlich, am liebsten würde ich alles hinschmeißen.« Er sah sich um. »Und das Land verlassen. Aber meine
Mutter hat leider die marokkanische Staatsbürgerschaft angenommen, als sie meinen Vater geheiratet hat.«
»Gibt es keine anderen Hotels, in denen du arbeiten könntest?« Ich ließ mitschwingen, dass ich mit »andere« »bessere« meinte,
was meiner Einschätzung nach
alle
anderen umfasste.
Jacky lachte unfroh. »Du wirst es nicht glauben, aber der Andrang ist groß. Ich kann als Halbmarokkaner froh sein, überhaupt
so einen Job bekommen zu haben. Manchmal arbeite ich mehr als achtzehn Stunden am Tag, und frei hab ich erst wieder« – er
sah auf die Uhr – »in einer Woche.«
»Wow.«
Jacky nickte träge. »Aber was beschwere ich mich? Viele meiner Landsleute sind schlechter dran.« Er erhob sich und reichte
mir die |157| Hand. »Wir sehen uns bei der Show. Sei bitte eine halbe Stunde vorher da.«
Nina saß an der Bar, vor sich den aufgeklappten Laptop, einen gut gefüllten Aschenbecher, zwei Flaschen Bier und ein leeres
Schnapsglas. Als ich von hinten auf sie zuging, überkam mich ein echtes Déjà-vu – tatsächlich hatte ich sie, wenn ich richtig
mitrechnete, während unseres Trips schon ein gutes Dutzend Male in vergleichbaren Situationen angetroffen. Das Texteingabefenster
auf dem Bildschirm war leer, bis auf eine Überschrift. »Terror in Agadir« stand da. Ninas Kopf ruhte in der linken Hand, mit
der rechten schob sie das Schnapsglas hin und her. Es sah nicht aus, als würde sie vor Ideen sprühen. Ich warf einen Blick
auf die Uhr. Wenn sie nach dem Frühstück angefangen hatte, saß sie inzwischen seit mehr als drei Stunden hier.
»Und? Geht’s voran?«, fragte ich und platzierte mich neben ihr. Ich beschloss, ihr die Sache mit dem toten Shi-Tsu vorzuenthalten,
schließlich hatte sie sich, wenn ich mich recht erinnerte, als »Hundenärrin« bezeichnet.
Sie hob den Kopf, ihre Augen waren schon wieder deutlich röter als am Morgen. »Hab ’ne Scheiß-Schreibblockade.«
» Terror in Agadir
ist, mit Verlaub, auch kein sonderlich origineller Titel.«
»Du hättest meine vorigen Entwürfe sehen sollen.« Sie erhob sich vom Hocker und beugte sich über den Tresen. »Ali, ich brauch
noch Stoff.« Irgendwo im Dunkel hinter der Bar regte sich etwas, dann klapperten Flaschen.
»Wir sollten was essen gehen.«
Sie ließ sich wieder auf den Hocker sinken. »Hier? Bist du bescheuert? Eher fresse ich meine Schuhe.«
»Irgendwo in der Stadt?«
»Wir haben kein Auto.«
»Das sind ein paar hundert Meter.«
|158| »Bring mir was mit.«
Der Barkeeper erschien und goss ihr einen neuen Wodka ein. Oder irgendeinen anderen Klaren. Ich schob mich rückwärts von meiner
Sitzgelegenheit und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Wenn du so weitermachst, brauchst du in zwei Wochen eine neue Leber.«
»Hab ich dich gebeten, dir meinen Kopf zu machen?«, schnarrte sie und funkelte mich dabei an. »Ich weiß selbst, was gut für
mich ist und was nicht.«
Ich hob die Hände. »Wir sehen uns später. Vielleicht.«
»Deine Show werd ich auf keinen Fall verpassen.«
Vor dem Hotel kam es mir noch heißer vor als am Pool. Es war windstill, die Straße lag einsam in der brennstabmäßig knallenden
Nachmittagssonne. Ich durchschlurfte den feinen, hellgrauen Staub, der den schlaglochübersäten Gehweg bedeckte. Mit jedem
Schritt fühlte ich meine Schweißdrüsen ihre Säfte in den Stoff meines T-Shirts pumpen. Vorbei an zwei Baustellen, auf denen
Geräte standen, mit denen die Russen in den Fünfzigern die SBZ demontiert hatten. Arbeiter waren nicht zu sehen. Dann ein
Grundstück, auf dem sich ein gewaltiger Hotelkomplex befand, der postmodernen Prunk verströmte. Schilder erklärten, dass die
18-Loch-Golfanlage dem internationalen AGP-Tourstandard entspräche. Vor dem Haupteingang parkten Daimlercabrios, VW Touaregs
und ein älterer Ferrari. Es folgte wieder Wüste, bis ich die Ausläufer des Stadtkerns erreichte. Kurz darauf fand ich ein
Restaurant, vor dem eine brauchbar ins Deutsche übersetzte Karte relativ internationale Küche versprach. Ich setzte mich auf
die beschauliche Terrasse, und innerhalb einer Viertelstunde standen ein eiskaltes Nullfünfer-Fassbier und eine gewaltige
orientalische Grillplatte mit Couscous und frischem Salat vor mir – das beste Essen, das ich in den letzten zehn, zwölf Tage
zu mir genommen hatte. Ich
Weitere Kostenlose Bücher